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Das Maß der Masse

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Das Maß der Masse
Wer gewinnt den Wettlauf um das neue Kilogramm? Seit 200 Jahren ist das Kilogramm durch den Metallklotz definiert, der im französischen Sèvres aufbewahrt wird. Doch Physiker hätten lieber ein Masse- Normal, das auf einer Naturkonstante beruht.

Besonders beeindruckend ist es nicht, das Kilogramm: Der silbrig glänzende Metallzylinder bei der Physikalisch Technischen Bundesanstalt ist viel kleiner, als man nach den guten alten Stahlgewichten vom Wochenmarkt erwarten würde. Doch Platin-Iridium ist nun mal eine sehr schwere Legierung. Erst wenn man den Glitzerklotz lange genug bestaunt hat, gibt Gläser zu, daß unter den wie russische Püppchen verschachtelten Glaskolben gar nicht der nationale Kilogramm-Prototyp Nummer 52 liegt, sondern ein billiger Edelstahl-Dummy, der zwar gleich groß, aber nicht so schwer ist wie das Original.

Das Original befindet sich in einem der imposanten Safes, in denen in Filmen immer die Goldbarren aufbewahrt werden. Der Wert dürfte ungleich größer sein – ein Verlust wäre eine Katastrophe nicht nur für die deutschen Eichämter, sondern auch für den Zusammenhalt des internationalen Einheitensystems. Der Braunschweiger Prototyp ist über das Urkilogramm, das im Bureau International des Poids et Mesures in Sèvresbei Paris aufbewahrt wird, durch eine definierte Hierarchie von Vergleichsmessungen an Prototypen in aller Welt gekoppelt. Doch das hat Nachteile: Je mehr Meßschritte zwischen dem Urkilogramm und einem bestimmten Eichgewicht irgendwo in der Welt liegen, um so größer der Fehler.

Bei den sechs anderen SI-Einheiten ist das anders: Das Meter kann man nicht verlieren – es ist an die Naturkonstante Lichtgeschwindigkeit gekoppelt. Ebenso die Sekunde – sie ist über die Schwingung eines Atoms definiert. Diese Naturkonstanten sind unveränderlich, im Gegensatz zum Kilogramm. Die Vergleichsmessungen zwischen den nationalen Prototypen und dem Pariser Urkilogramm, die alle paar Jahrzehnte stattfinden, haben gezeigt, daß die einzelnen Stücke auseinanderdriften. Genauer: Die Prototypen werden tendenziell schwerer – beim deutschen Prototyp Nummer 52 rund 40 Millionstel Gramm in zehn Jahren -, was umgekehrt auch den Schluß nahelegt, daß möglicherweise das Urkilogramm in Sèvres immer leichter wird. Doch es hilft nichts: Der Klotz in Frankreich ist bei Massen das Maß der Dinge.

Da war man vor über 200 Jahren weiter. 1793 wollten die Franzosen nicht nur ihre Gesellschaftsordnung, sondern auch das Einheitensystem revolutionieren. Das Meter wurde als zehnmillionster Teil eines Viertels des Erdmeridians festgelegt. Ein Kilogramm wurde dann als das Gewicht eines Kubikdezimeters Wasser bei einer bestimmten Dichte definiert. Weil das im Alltag zu unpraktisch war, stellte man 1799 einen Platin-Iridium-Prototyp her, der 1875 durch den bis heute gültigen ersetzt wurde.

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Statt eine Kombination von Naturkonstanten zu nutzen, griff man damit wieder zu einem Ding. Michael Gläser von der Physikalisch Technischen Bundesanstalt würde das Kilogramm aber viel lieber über das Gewicht von Atomen definieren. Damit wäre auch die letzte der sieben Maßeinheiten des SI-Systems eine natürliche Größe. Diese müßte man nicht in einem Panzerschrank aufbewahren, und jeder Physiker auf der Welt hätte dieselbe Bezugsgröße. Einen Weg untersucht Gläser seit Anfang der neunziger Jahre. Er will so viele Goldatome sammeln, bis er eine wägbare Masse – zehn Gramm – zusammen hat und diese mit einem geeichten Gewichtsstück vergleichen kann. Über die Zahl der Atome in dem Goldklumpen könnte er ausrechnen, wieviel ein Atom wiegt. Ein Kilogramm wäre dann das Soundsovielfache eines Gold-Atoms oder des beliebten Kohlenstoff-Atoms, dessen Gewichtsverhältnis zu Gold sehr genau bekannt ist und das auch der Definition der SI-Einheit “Mol” zugrunde liegt. Doch ein Kilogramm Gold Atom für Atom zu sammeln, würde länger dauern, als das Universum alt ist.

Weil der Weg zu einer Definition des Kilogramms über die Atommasse dornenreicher ist als erwartet, wollen amerikanische Physiker vom NIST eine Abkürzung nehmen und das Kilogramm über elektrische Größen definieren. Das Prinzip klingt einfach: Eine Balkenwaage trägt in der einen Waagschale einen Kilogrammprototypen, die andere Seite des Balkens wird mit einer stromdurchflossenen Spule über elektromagnetische Kräfte nach unten gezogen, so daß sich beide Kräfte die Waage halten. Kombiniert man alle Formeln, bleiben nur zwei Größen übrig, die es zu messen gilt: Spannung und Strom, und die sind über Naturkonstanten extrem genau bestimmbar. Das Produkt aus Spannung und Strom gab dem Experiment auch seinen Namen: Wattwaage.

Als nächstes will Williams’ Team die ganze Apparatur im Vakuum betreiben, um Luftturbulenzen und den unterschiedlichen Auftrieb bei Änderungen des Luftdrucks auszuschalten. Schon jetzt ist die Apparatur mit einem Meßfehler von eins zu zehn Millionen nur noch eine Zehnerpotenz vom ersehnten Ziel entfernt. “Die Wattwaage hat gute Chancen, das Rennen bei der Neudefinition des Kilogramms zu machen”, gibt Peter Becker zu, “auch weil das Experiment einfacher zu wiederholen ist.”

Bernd Müller
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