Keine „fiese“ Nadel nötig: Nach dem Vorbild des Blutegels haben Forschende einen Saugnapf mit verborgenen „Zähnchen“ entwickelt, der Patienten schonend und effektiv Blut abzapfen kann. Das Konzept bietet gleich mehrere Vorteile beim Einsatz für die Diagnostik: Die Näpfe wirken nicht so abschreckend auf empfindliche Patienten und sie können sogar von nichtmedizinischem Personal angewendet werden. Außerdem könnten sie in kostengünstiger Massenproduktion hergestellt werden, sagen die Entwickler.
Schon allein vom Gedanken an das gängige Verfahren zur Blutabnahme bekommen manche Menschen eine Gänsehaut. Die Angst vor dem Nadeleinsatz ist weit verbreitet und vor allem Kinder sind davon betroffen. Ein vergleichsweiser kleiner Stich in die Fingerkuppe oder das Ohrläppchen kann zwar in manchen Fällen eine schonende Alternative darstellen. Doch auf diese Weise entsteht nur ein kleiner Blutstropfen, der für viele diagnostische Untersuchungen nicht ausreicht: Für die Zuverlässigkeit von Untersuchungsergebnissen ist oft mehr Probematerial nötig. Es wurden zwar schon schonendere und effiziente Alternativen zum Nadeleinsatz entwickelt. Doch sie sind meist aufwendig und teuer. Dabei kann nun die neue Methode punkten, die ein Team der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) entwickelt hat.
Vorbild Blutegel
Für Inspiration hat dabei ein tierischer Experte des Blutabzapfens gesorgt: der Blutegel. „Uns kam die Idee, mit diesem Tier als Vorbild ein System zu entwickeln, um Blut zu gewinnen“, sagt Co-Autor David Klein von der ETH. Sie haben das Konzept der raffinierten Parasiten dazu genauer analysiert. Ein wichtiger Aspekt ist dabei, dass Blutegel ausgesprochen sanft mit ihren Opfern umgehen, um nicht entdeckt zu werden. Sie setzten sich dazu zunächst über ihr Mund-Saugnapf-System auf der Haut fest. Anschließend ritzen sie mit ihren winzigen Zähnchen die Haut an der Ansatzstelle sachte auf. Dabei erzeugen sie einen Unterdruck, wodurch verstärkt Blut austritt, womit sich die Egel dann vollsaugen können.
Nach diesem Grundprinzip funktioniert nun auch das Gerät, das die Forschenden entwickelt haben. Es handelt sich um einen etwa zweieinhalb Zentimeter großen Saugnapf aus einem flexiblen Silikonmaterial. Im oberen Teil seines Inneren befindet sich ein Kunststoff-Plättchen, das mit etwa zwei Millimeter langen Mikronadeln bestückt ist. Für den Einsatz wird der Saugnapf auf die Haut des Oberarms oder des Rückens des Patienten gedrückt, erklären die Entwickler.
Dabei stoßen die winzigen Nadeln dann kurz durch die Haut und gleichzeitig entweicht Luft aus dem Innenraum. Nach dem Anpressen bildet die Silikon-Kuppel dann einen Unterdruck aus, der Blut aus der kleinen Wunde in den Hohlraum saugt.
Vielversprechender Prototyp
Ob das Konzept auch hält, was es verspricht, haben die Forschenden an jungen Schweinen als Modell für den Menschen getestet. Dabei bestätigte sich, dass der Saugnapf tatsächlich innerhalb weniger Minuten nach dem Anpressen effektiv Blut sammeln kann: Es kommt genügend Volumen zusammen, um diagnostische Untersuchungen zu ermöglichen, für die einzelne Tröpfchen durch Fingerkuppen-Punktierungen nicht ausreichen würden. Nach der Anwendung kann das Blut dann mittels einer Pipette aus dem Napf geholt werden. Die Forschenden haben auch schon einen passenden Adapter entwickelt, der nach der Probenahme angebracht werden kann. Über einen Zapfen lässt sich das gewonnene Blut dabei sicher in Gefäße oder direkt in ein Analysegerät überführen.
Den Entwicklern zufolge hat das Konzept neben seiner weniger beängstigenden Wirkung weitere interessante Aspekte zu bieten. Es kann sogar von Personen ohne medizinische Ausbildung durchgeführt werden und birgt weniger Verletzungsgefahr bei Anwendern und Entsorgern als das klassische Nadel-Konzept. Außerdem könnten die Einweg-Näpfe sehr kostengünstig in Massenproduktion hergestellt werden, betonen die Forschenden. Besonderes Potenzial sehen sie deshalb für den Einsatz in Entwicklungsländern. Konkret könnte das System dort beispielsweise einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen Malaria leisten. Denn für die Diagnose der Erkrankung könnte das erzielbare Blutvolumen ausreichen.
Die Forschenden widmen sich nun der weiteren Optimierung ihres Prototyps und wollen zudem die Einsatzmöglichkeit von biologisch abbaubaren Materialien ausloten, um auch ein nachhaltiges Medizin-Produkt zu schaffen. Sie hoffen zudem auf Sponsoren für die weitere Entwicklung. Denn nur so könnte ihr bioinspiriertes Blutabnahme-System schon bald Menschen mit „Nadel-Angst“ und Patienten in strukturschwachen Regionen der Welt zugutekommen, sagen die Entwickler.
Quelle: Eidgenössische Technische Hochschule Zürich, Fachartikel: Advanced Science, doi: 10.1002/advs.202308809