Inspiriert von der japanischen Faltkunst: Forscher präsentieren ein neues Konzept zur Herstellung von robusten Pop-up-Strukturen wie Schutzhütten. Die Konstruktionen aus verbundenen Platten werden aus dem flachen Zustand aufgeblasen, bis sie nach der Entfaltung stabil einrasten. Durch die raffinierte Anordnung der Elemente ergeben die komplexen Konstruktionen dann standfeste Formen. Im Vergleich zu bisherigen Schnell-Aufbau-Systemen für große Strukturen bietet das neue Konzept entscheidende Vorteile und besitzt somit großes Potenzial in verschiedenen Anwendungsbereichen, sagen die Wissenschaftler.
Aus kompakt und leicht wird groß und nützlich: Für Pop-up-Strukturen gibt es viele Einsatzmöglichkeiten – vom mobilen Unterschlupf über Feldlazarette bis zu eindrucksvollen Strukturen bei Veranstaltungen. Doch die bisherigen Konzepte lassen zu wünschen übrig, denn bestimmte Eigenschaften lassen sich bisher schlecht kombinieren. Bei zeltartigen Strukturen gilt dabei: Je stabiler und komplexer die Konstruktion sein soll, desto höher ist der Bauaufwand. Als Alternative sind deshalb bereits aufblasbare Gebilde aus flexiblen Materialien im Einsatz. Doch diese Strukturen benötigen einen konstanten Druck, um ihre Form beizubehalten. Wenn er wegfällt, kehrt die Struktur in ihre einzige wirklich stabile Form zurück – schlapp und flach. Welche Konsequenzen dies haben kann, wurde bei der Tour de France im Jahr 2016 deutlich: Ein aufblasbarer Zier-Bogen, der die Straße überspannte, kollabierte durch den Druckverlust aufgrund einer vergleichsweise leichten Beschädigung und stürzte auf einen der Teilnehmer des Fahrradrennens.
Faltkunst clever umgesetzt
Vor diesem Hintergrund hat sich nun ein Team der Harvard University in Cambridge der Entwicklung eines alternativen Konzepts unter Verwendung von Druckluft gewidmet. Als Inspiration diente ihnen dabei die fernöstliche Faltkunst, die bereits zuvor Wissenschaftlern als Vorbild beim Design verschiedener Strukturen und Verfahren gedient hat. Der zentrale Aspekt von Origami ist, dass sich durch raffinierte Faltungen von flachen Elementen stabile dreidimensionale Objekte herstellen lassen. Im Rahmen ihrer Studie haben die Wissenschaftler dieses System nun in cleverer Weise umgesetzt.
Durch spezielle geometrische Berechnungsverfahren und Versuche entwickelte das Forscherteam ein System, das auf dreieckigen Grundelementen aus festem Kunststoff beruht, die über flexible Verbindungen verknüpft sind. Durch spezielle Faltungen erzeugten die Wissenschaftler aus diesen Elementen Konstruktionen, die zwei stabile Zustände einnehmen können: flach zusammengefaltet oder zu einem dreidimensionalen Gebilde aufgeklappt. Um von dem einen Zustand in den anderen zu kommen, muss ein gewisser Widerstand überwunden werden. Die Aufbauarbeit leistet dabei Druckluft, die in die geschlossenen Strukturen geleitet wird. Sie bewirkt die Entfaltung, bis die Struktur in den stabilen Zustand einrastet.
Anschließend ist aufgrund der geometrischen Merkmale kein Luftdruck mehr nötig, um die Form zu erhalten. Um das Gebilde anschließend wieder flachzulegen, saugen die Forscher Luft aus der Konstruktion: Mithilfe einer Vakuumpumpe wird der stabile 3D-Zustand überwunden und das Gebilde kann erneut in die kompakte Form gebracht werden. Zu Demonstrationszwecken hat das Team einen aufblasbaren Bogen von 60 Zentimeter Höhe und 150 Zentimeter Breite hergestellt. Außerdem präsentieren sie den Prototypen einer zeltartigen Konstruktion, die sich durch das Verfahren entfalten und zusammenlegen lässt. Dieses Gebilde besitzt mit etwa 2,5 Meter Breite und Höhe bereits praktikable Ausmaße.
„Luftiges“ System mit Potenzial
“Man kann sich vorstellen, dass derartige Unterkünfte als Teil der Notfallhilfe in Katastrophengebieten zum Einsatz kommen könnten”, sagt Erstautor David Melancon. “Sie können flach auf einen LKW gestapelt werden und man braucht nur eine Druckquelle, um sie aufzustellen. Sobald sie aufgeblasen sind, kann man die Druckquelle entfernen und zum nächsten Zelt übergehen”, so Melancon. Schutzräume können dadurch von nur ein oder zwei Personen aufgebaut werden, im Gegensatz zu dem Dutzend, das für den Aufbau heutiger Feldlazarette benötigt wird, erklärt der Wissenschaftler.
Wie er und seine Kollegen hervorheben, können die Elemente der Origami-Strukturen so konfiguriert werden, dass sie viele unterschiedliche Formen oder Größen ergeben. Auch bei den Materialien gibt es offenbar erheblichen Spielraum: “Wir verlassen uns auf die geometrischen Merkmale und weniger auf die Materialeigenschaften, was bedeutet, dass wir diese Bausteine aus vielen verschiedenen Substanzen herstellen können, einschließlich preiswerter, wiederverwertbarer Materialien”, sagt Co-Autor Benjamin Gorissen.
Obwohl noch einiges an Entwicklungsarbeit nötig ist, sehen die Forscher großes Potenzial in ihrer Technik: “Wir haben einen noch nie dagewesenen Designraum für große aufblasbare Strukturen erschlossen, die sich flach zusammenfalten lassen und ihre entfaltete Form ohne das Risiko eines katastrophalen Bruchs beibehalten können”, resümiert Co-Autor Chuck Hoberman. “Für diese hartwandigen Umhüllungen sehen wir erhebliches Anwendungspotenzial, nicht nur auf der Erde. Sie könnten beispielsweise auch bei der Erforschung des Mondes oder des Mars zum Einsatz kommen”, so der Wissenschaftler.
Quelle: Harvard John A. Paulson School of Engineering and Applied Sciences, Fachartikel: Nature, doi: 10.1038/s41586-021-03407-4