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Am Puls der Sonne

Technik|Digitales

Am Puls der Sonne
Das Raumschiff SOHO entschleiert die Geheimnisse unseres Sterns. Warum vibriert die Sonne? Woher kommen die verheerenden Magnetstürme? Das neue Sonnenobservatorium im Vorhof der Erde hat in den ersten zwei Jahren seines Einsatzes einige Antworten und neue Erkenntnisse geliefert.

Unter den brodelnden Gasmassen auf der Sonne verbergen sich noch viele Geheimnisse. So wissen die Astronomen immer noch nicht, was den elfjährigen Aktivitätszyklus verursacht – sein auffälligstes Merkmal ist das periodische Auftreten dunkler Flecken auf der Sonnenoberfläche. Ebenso offen ist die Frage nach dem Ursprung des Sonnenwindes, der als Strom elektrisch geladener Partikel das Sonnensystem durchdringt. Besonders rätselhaft ist der Mechanismus, der die Korona auf weit über eine Million Grad aufheizt.

Um die Lösung solcher Probleme bemüht sich seit zwei Jahren SOHO, das “Solar and Heliospheric Observatory”. Das Sonnenobservatorium wurde unter der Regie der Europäischen Weltraumbehörde ESA entwickelt und wird gemeinsam mit der amerikanischen Nasa betrieben. Am 2. Dezember 1995 startete die rund zwei Tonnen schwere Raumsonde vom Weltraumbahnhof Cape Canaveral in Florida ins Weltall. Zwei Monate später hatte sie ihre endgültige Position erreicht, den sogenannten Lagrange-Punkt L1.

Für die Beobachtung der Sonne ist dies der denkbar beste Ort: Rund 1,5 Millionen Kilometer in Richtung Sonne von der Erde entfernt, heben sich dort die Anziehungskäfte der beiden Himmelskörper gegenseitig auf. So kann SOHO – wie durch unsichtbare Fäden über der Erde festgezurrt – gemeinsam mit unserem Planeten die Sonne umrunden, ohne daß der freie Ausblick jemals verdeckt würde. Von dieser exponierten Position aus ist es zum ersten Mal möglich, die Sonne über Jahre hinweg völlig ungestört zu beobachten.

Elf wissenschaftliche Instrumente hat SOHO an Bord. Sie registrieren die UV-Strahlung der Sonne, Magnetfelder, Temperaturen, Materie- und Energieströme innerhalb der Korona und in deren Übergangsbereich zur Sonnenoberfläche. Andere Instrumente untersuchen die Energieverteilung im Sonnenwind und bestimmen seine chemische Zusammensetzung. In drei SOHO-Experimenten werden Schwingungen gemessen, die pausenlos die gesamte Gaskugel der Sonne erbeben lassen, ähnlich einer angeschlagenen Glocke.

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Hervorgerufen werden diese rhythmischen Vibrationen durch Schallwellen, die die Sonne auf unterschiedlich langen gekrümmten Bahnen durchlaufen und an ihrer Oberfläche immer wieder reflektiert werden. Jede Schallwelle hat eine bestimmte Frequenz – meist im Bereich einiger Millihertz. Ihre Überlagerung gleicht einem – unhörbaren – “Gesang der Sonne”.

Die Helio-Seismologie, die Erforschung der solaren Schwingungen, gestattet einen Blick tief unter das bekannte Gesicht unseres Heimatsterns. Aus den Frequenzen, den Wegstrecken und den Laufzeiten einzelner Schallwellen lassen sich Informationen über den inneren Aufbau der Sonne gewinnen.

Die SOHO-Meßgeräte registrieren dazu Bewegungen der Sonnenoberfläche auf wenige Meter genau mit Hilfe des Dopplereffekts: Je nachdem, ob sich die Gasmassen in einem Bereich der Sonne heben oder senken, ist das Spektrum des von dort ausgesandten Lichts zu etwas höheren oder tieferen Frequenzen verschoben. Der “Michelson Doppler Imager” an Bord von SOHO bestimmt so einmal pro Minute die vertikale Bewegung von fast einer Million Punkten auf der Sonnenoberfläche. Computersimulationen ermitteln daraus die Verteilung von Temperatur und Dichte im Sonneninneren.

Die Ergebnisse haben die Modelle der Astrophysiker vom Aufbau der Sonne bestätigt. Sie zeigen auch, daß sich im Grenzbereich zwischen der Konvektionszone – dem äußeren Bereich der Sonnenkugel – und der darunterliegenden Strahlungszone die Gase in heftigen Turbulenzen miteinander vermischen. Zudem rotieren Konvektions- und Strahlungszone unterschiedlich schnell. Rund 200000 Kilometer unter der Oberfläche führt dies zu starken Scherkräften. Zusammen mit den Turbulenzen könnten sie für das Entstehen des solaren Magnetfelds verantwortlich sein.

Magnetfelder spielen vermutlich bei vielen Vorgängen in der Sonne eine entscheidende Rolle, unter anderem beim Aufheizen der Korona. Jahrzehntelang standen die Astronomen vor einem Rätsel: Weshalb ist die Korona fast tausendmal heißer als die rund 5800 Grad Celsius heiße Sonnenoberfläche? In der Korona selbst existiert keine Wärmequelle, ein Wärmestrom aus den darunterliegenden kühleren Bereichen ist nach den physikalischen Gesetzen nicht möglich. Es muß also einen anderen Mechanismus geben, der Energie in die Korona überträgt.

Die SOHO-Instrumente führten die Wissenschaftler nun auf seine Spur. Sie zeigen, daß die Sonnenoberfläche von einem Teppich aus zahllosen magnetischen Schleifen bedeckt ist – bogenförmigen Magnetfeldern, die jeweils von einem magnetischen Pluspol an der Oberfläche ausgehen und an einem Minuspol enden. Meist schon wenige Tage nach ihrer Entstehung brechen diese kurzlebigen Gebilde auf, ihre offenen Enden bewegen sich dann frei umher. Treffen zwei Enden mit unterschiedlicher Magnetfeldrichtung aufeinander, kommt es zu einem Kurzschluß, durch den riesige Mengen an Energie in die Sonnenatmosphäre freigesetzt werden.

Auch an der Entstehung des Sonnenwindes sind Magnetfelder vermutlich beteiligt. Seit langem wissen die Astronomen, daß sich der Sonnenwind aus zwei unterschiedlich energiereichen Anteilen zusammensetzt: Langsamere Partikel bewegen sich darin mit rund 400 Kilometer pro Sekunde, schnellere bringen es auf die doppelte Geschwindigkeit.

Beobachtungen des “Ultraviolet Coronograph Spectrometers” von SOHO zeigen, daß der langsamere Anteil des Sonnenwindes aus der Äquatorregion stammt, wo Materie entlang Magnetfeldlinien ins Weltall strömt. Die energiereicheren Teilchen dagegen haben ihren Ursprung in polaren Regionen. Dort sind die Magnetfeldlinien offen und wirken als Beschleuniger. Sie treiben elektrisch geladene Partikel, die von der Sonne abdampfen, auf bisher unbekannte Weise auf sehr hohe Geschwindigkeiten an. Ebenfalls in der Nähe von den Polen der Sonne entdeckten britische Forscher mit dem SOHO-Spektrometer vor kurzem gigantische Wirbelstürme. Jeder einzelne davon ist fast so groß wie die Erde, im Innern der solaren Tornados toben Winde mit Geschwindigkeiten bis zu 500000 Kilometer pro Stunde.

Immer wieder schleudern sogenannte koronale Masseauswürfe Milliarden von Tonnen Materie in den Weltraum. Diese gewaltigen Explosionen sind verantwortlich für magnetische Stürme über der Erde, die den Funkverkehr stören und zu Stromausfällen führen können. Im magnetischen Schutzschild der Erde gefangene Elektronen werden durch magnetische Stürme befreit. Sie können als energiereiche “Killer-Elektronen” die Elektronik von Satelliten beschädigen und gefährden Astronauten während Weltraumspaziergängen. Bisher versuchte man, magnetische Stürme anhand von solaren “Flares” vorherzusagen, die von der Erde aus einfacher zu beobachten sind. Dabei handelt es sich um stark aufgeheizte Bereiche der Sonnenatmosphäre. Die Erfolgsquote solcher Prognosen ist aber eher mager: Nur etwa jeder dritte Flare zieht einen magnetischen Sturm nach sich. SOHO bietet die Möglichkeit, die koronalen Masseauswürfe direkt zu beobachten und verspricht so deutlich zuverlässigere Prognosen.

Im vergangenen Jahr registrierte die Sonde innerhalb von sieben Monaten neun solche Explosionen. Jedesmal tobte einige Tage später ein Magnetsturm über der Erde. Astrophysiker hoffen, mit Computermodellen künftig auch die Stärke solcher Stürme aus den SOHO-Meßdaten vorausberechnen zu können.

Offen ist bislang, wodurch der elfjährige Zyklus der Sonne hervorgerufen wird. Er könnte mit großräumigen Plasmaströmen unter der Sonnenoberfläche zusammenhängen, die von SOHO aufgespürt wurden. Flüsse aus ionisierten Gasen umströmen in rund 40000 Kilometer Tiefe die Polarregionen der Sonne. Sie erinnern stark an irdische Jetströme: schnelle Höhenwinde, die auf mäanderförmig gewundenen Strömungslinien um den Globus wehen. Andere Plasmaströmungen ähneln den Passatwinden auf der Erde. Sie treten häufig gemeinsam mit Anhäufungen von Sonnenflecken auf, wie es um das Jahr 2000 sein wird. Dann hoffen die Wissenschaftler, auch dem Geheimnis des solaren Zyklus auf die Spur zu kommen.

===Ralf Butscher
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