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Die Strafarbeit

Cogito

Die Strafarbeit
©bdw

„Opa, wir haben heute in der Schule gelernt, dass für viele Menschen die 13 eine Unglückszahl ist“, berichtete Inga meinem Schwiegervater. „Das ist aber in manchen anderen Ländern anders“, ergänzte ihre ältere Schwester. „In Italien hält man die 17 für eine Unglückszahl, in China und Japan die 4.“ „Opa, hast du auch eine Unglückszahl?“, wollte Inga wissen. „Ja, habe ich“, sagte mein Schwiegervater, verschränkte die Hände im Nacken und lehnte sich zurück. „Aber das ist eine längere Geschichte. Wollt ihr sie hören?“ Meine Töchter nickten.

„Als ich zur Schule ging, waren Nachsitzen und Strafarbeit noch gang und gäbe, und manchmal rutschte einem Lehrer auch die Hand aus.“ Mein Schwiegervater dachte ­einen Moment nach und fuhr dann fort: „Vermutlich war ich in der sechsten Klasse. Einige Mädchen spielten in der großen Pause auf dem Schulhof Gummitwist. Ich versuchte, ihre Aufmerksamkeit zu erregen, indem ich immer wieder quer über das Band rannte. Weil sie dies gar nicht zu bemerken schienen, zog ich an dem Gummiband und ließ es dann gegen ihre Beine schnipsen.

Als daraufhin eines der Mädchen die Spielgefährtinnen fragte: „Kann mal jemand von euch den Kleinen zu seiner Mama bringen?“, wurde ich wütend. Ich zog solange an dem Band, bis die Mädchen es freigaben und rannte damit fort. Doch das blieb nicht ohne Folgen für mich. Die Mädchen beschwerten sich bei der Pausenaufsicht. Dies war zu meinem Unglück Herr Mannhart, mein Mathelehrer, mit dem ich nicht auf besonders gutem Fuß stand. Er kam mit den Mädchen im Schlepptau auf mich zu und fragte streng: „Wo ist das Gummiband?“ Ich ging zur Mitte des Schulhofs. Dort stand ein niedriger quadratischer Brunnen, dessen Ecken vier Poller zierten. Der Platz um den Brunnen war mit zwölf weiteren Pollern, zwischen denen Ketten hingen, eingezäunt. Die insgesamt sechzehn Poller bildeten die Eckpunkte eines Rasters von 3 × 3 Quadraten. Ich hatte das ­Gummiband um drei Poller geschlungen. Herr Mannhart stemmte die Arme in die Seiten, blickte eine Zeit lang auf die Poller mit dem Gummiband und sagte dann: „Ich habe dich bisher, was die Mathe­matik angeht, für einen hoffnungslosen Fall ­gehalten. Offensichtlich aber habe ich mich getäuscht, denn wie ich sehe, liebst du die Geo­metrie.“ Dann wandte er sich an die Mädchen. „Das Gummiband bildet ein rechtwinkliges Dreieck. Alois wird seine Liebe zur Geometrie noch ein wenig vertiefen und nach dem Unterricht so lange in der Schule bleiben, bis er weiß, wie viele verschiedene rechtwinklige Dreiecke man mit eurem Gummiband zwischen den sechzehn Pollern spannen kann.“ Dann sagte er zu mir: „Ich werde den ganzen Nachmittag über im Lehrerzimmer sein und Klassenar­beiten korrigieren. Du darfst erst dann nach Hause gehen, wenn du mir die richtige Zahl der Dreiecke genannt hast.“ Viermal habe ich an die Lehrerzimmertür geklopft und Herrn Mannhart eine Zahl genannt. Dreimal wurde ich wieder zurückgeschickt. Erst beim vierten Mal war die Zahl richtig, und ich durfte endlich nach Hause. Seitdem ist diese Zahl meine Unglückszahl.“
„Und welche Zahl ist das?“, fragte Inga. „Das werdet ihr doch leicht selbst herausbekommen“, war die Antwort.

© llustration: Matthias Schwoerer
Wie viele verschiedene rechtwinklige Dreiecke kann man mit einem Gummiband spannen, ­deren Ecken alle Poller eines 3 × 3-feldigen quadra­tischen Rasters sind? Dabei gelten Dreiecke wie die in dem Bild, die verschiedene Poller umschlingen, auch wenn sie gleich aussehen, als verschieden.



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