Jeden Freitagnachmittag um zwei Uhr findet in der Firma, in der ich arbeite, eine Besprechung statt. Darin fasst unser Chef alle wichtigen Ereignisse der vergangenen Woche zusammen und bespricht die Aufgaben der kommenden Woche. Dies dauert meistens nicht länger als 20 Minuten. Danach aber darf jeder berichten, was ihm berichtenswert erscheint. Das ist stets der lange und ermüdende Teil der Veranstaltung. Meine Kollegin Gloria, mit der ich mir das Büro teile, bezeichnet diejenigen, die sich jeden Freitag zu Wort melden und langatmig und langweilig das wiederholen, was der Chef bereits zuvor kurz und knapp erzählt hat, als die Wiederkäuer – eine ebenso boshafte wie zutreffende Bezeichnung. Harald ist einer der Wiederkäuer, und da er auch noch einen Kinnbart trägt, nennt Gloria ihn den Ziegenbock.
Vor ein paar Tagen saßen wir wieder einmal in der freitäglichen Besprechung. Die Sonne schien, das Wochenende stand vor der Tür, und unser Chef und selbst die Wiederkäuer hatten sich kurzgefasst. „Geschafft!“, dachte ich. Aber ich hatte mich zu früh gefreut. Harald meldete sich noch. Er hatte letzten Dienstag eine Besprechung mit einem Kunden und gab nun jedem von uns ein DIN-A4-Blatt mit der Tagesordnung davon. Dann plätscherten seine Sätze monoton und ermüdend durch den Raum. Die Minuten fühlten sich wie Stunden an. Gloria, die neben mir saß, fiel es sichtlich schwer, ihre Augen offen zu halten. Sie schaute zwar auf das Blatt mit der Tagesordnung, schien es aber gar nicht wahrzunehmen, denn ihr Blick verlor sich im Unendlichen. Ihr Verstand lief nur auf Sparflamme.
Gloria schaffte es gerade noch, ihre Finger mit dem Blatt, das hochkant vor ihr auf dem Tisch lag, spielen zu lassen. Vermutlich völlig unbewusst faltete sie es so, dass der Knick durch die untere rechte Ecke lief und die untere linke Ecke genau auf die rechte Seite fiel. Dann strich sie mehrmals mit dem Daumennagel kräftig über den Falz. Anschließend klappte sie das dreieckige Stück um, sodass es nun auf der Rückseite des Blattes lag und strich wieder mit dem Daumennagel über den Falz. Jetzt konnte sie das Blatt mühelos entlang des Knicks in zwei Teile zerreißen. Sie legte das größere, trapezförmige Stück beiseite. Das kleinere zweite Stück war ein rechtwinkliges, gleichschenkliges Dreieck. Sie faltete es so, dass die untere spitzwinklige Ecke genau auf die rechtwinklige fiel, strich einmal mit der Hand über den Falz und klappte es dann wieder auseinander. Nun faltete sie das Dreieck so, dass die obere spitzwinklige Ecke genau auf den Mittelpunkt der ihr gegenüberliegenden Seite fiel. Diesen Punkt hatte sie durch ihre vorherige Faltung gefunden. Auch diesmal klappte sie das Blatt wieder auseinander und starrte es lange Zeit an. Ihr Blick wurde dabei immer klarer, und man sah ihr an, dass ihr Verstand hochfuhr und zu arbeiten begann.
„Na“, raunte ich Gloria zu. „Worüber denkst du nach?“ Sie schob mir ihr Papierdreieck zu und flüsterte: „Ich frage mich, wie lang der letzte Knick ist, den ich in das Blatt gefaltet habe.“ Ich verdrehte die Augen. Diese Frage hätte ich mir nie gestellt und eine Antwort darauf niemals gefunden. Ich wollte nur wissen, wie lange ich noch auf mein Feierabendbier warten musste. Aber vielleicht können Sie ja Glorias Frage beantworten. Übrigens sind DIN-A4-Blätter 210 Millimeter breit und 297 Millimeter lang.
COGITO − RÄTSELN SIE MIT!
Teilnehmen kann jeder, außer den Mitarbeitern des Verlags und deren Angehörigen. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.
Schicken Sie Ihre Lösung bitte bis zum 30. November 2023:Das Gewinnspiel ist leider abgelaufen. Mehr Cogito-Rätsel finden Sie hier.
… UND DAS GIBT ES ZU GEWINNEN
Unter den Einsendern der richtigen Lösung verlosen wir fünf Exemplare des Buchs „Von der Vermessung des Kosmos“ von Hélène Courtois. Darin beschreibt die Astrophysikerin von der Universität Lyon die Position der Erde im Weltraum – in der Milchstraße, in der Lokalen Galaxiengruppe und im Superhaufen Laniakea (Hawaiianisch für „unermesslicher Himmelshorizont“), zu dessen Mitentdeckerin sie gehört. Er ist rund 500 Millionen Lichtjahre groß und enthält etwa 100.000 Galaxien wie die Milchstraße, die an seinem Rand liegt, plus eine Million Zwerggalaxien. Wie diese Kosmografie des Alls gelang und gegenwärtig noch erweitert wird, welche ‧Konsequenzen sie für unsere Vorstellung vom Universum hat und wie die Forscher „ticken“, die das alles erkunden, beschreibt Courtois spannend und leicht verständlich. Weitere Informationen: www.kosmos.de
Die Lösung des November-Rätsels
Die Seiten AB und BC des Papierdreiecks haben die Länge a = 210 Millimeter. P ist der Mittelpunkt der Seite BC, darum sind BP und PC jeweils ½a lang. Die beiden Dreiecke ABP und ABC sind rechtwinklig, und mit dem Satz des Pythagoras erhält man AP = ½√5a und AC = √2a. Da die Ecke A auf den Mittelpunkt P der Seite BC gefaltet wird, steht der Knick QR senkrecht zur Strecke AP und halbiert sie im Punkt S. Somit gilt AS = ½AP = ¼√5a. Die Strecken PT und AC stehen senkrecht zueinander, und das Dreieck PCT ist darum rechtwinklig und gleichschenklig. Seine Hypotenuse PC hat die Länge ½a, woraus sich mit dem Satz des Pythagoras Kathetenlängen von TP = TC = ¼√2a ergeben. Somit ist AT = AC – TC = √2a – ¼√2a = ¾√2a lang. Die beiden Dreiecke ASR und ABP sind ähnlich. Folglich gilt SR : AS = BP : AB = ½a : a = 1 : 2. Daraus erhält man SR = ½AS = √5a/8. Auch die beiden Dreiecke ASQ und ATP sind ähnlich. Somit gilt SQ : AS = TP : AT = ¼√2a : ¾√2a = 1 : 3. Hieraus ergibt sich dann SQ = ⅓AS = √5a/12. Der Knick hat darum die Länge SR + SQ = √5a/8 + √5a/12 = 5√5a/24 ≈ 97,83 Millimeter.
Die Gewinner
Das Los hat unter den richtigen Einsendern entschieden. Wir gratulieren!
Je ein Exemplar Buchs „Von der Vermessung des Kosmos“ von Hélène Courtois erhalten:
Sven Bretschneider, Berlin; Friedrich Juhnke, Magdeburg; Roland Liedtke, Herten; Michael Schleyer, Braunschweig; Inge Schuhmacher, Metzingen