Was der Welt einst seine Form gab, wird von uns Menschen notorisch geringgeschätzt, ja gar verachtet. So lautet die These des italienischen Philosophen Emanuele Coccia, der eine kleine, recht ungewöhnliche Abhandlung über den Wert der Pflanzen verfasst hat.
Um zu begreifen, dass der Professor für Philosophiegeschichte offenkundig Recht hat, reicht schon ein Streifzug durch das Baumarkt-Gartencenter um die Ecke. Hier gibt es das zu kaufen, was Eigenheimbesitzer für ihr kleines Reich bevorzugen: Steine in allen möglichen Formen und Farben. Und Pflanzen, etwa Buchsbäumchen oder Zierrasen, die ein möglichst steriles Terrain vor der Haustür gewährleisten. Ihr so manchem Hausherrn lästig werdender Wille zu wachsen und neues Leben hervorzubringen, kann ohne viel Mühe in Schach gehalten werden. Aber ist das eine Haltung, die unsere grünen Mitgeschöpfe verdient haben?
Nein, ein bisschen mehr Demut bitte, meint Emanuele Coccia. Und erinnert mit bemerkenswertem Weitblick an das große Ganze: Pflanzen haben das Leben auf diesem Planeten erschaffen. Ja, auch der Mensch, sich selbst als die Krone der Schöpfung verstehend, hängt von der Existenz der Chloroplasten ab. „Die Pflanzen sind die immer offene Wunde der metaphysischen Arroganz, die unsere Kultur definiert. Die Wiederkehr des Verdrängten, das wir loswerden müssen, um uns als anders betrachten zu können: Menschen, vernunftbegabte, spirituelle Wesen“, schreibt Coccia. Und betont, es sei unser tierischer Chauvinismus, der uns daran hindere, die Wahrheit der Pflanzen wahrzunehmen. In unserer Vorstellung bedeute Leben tierisches Leben – mit Nerven, Adern, Neuronen und Gehirn. Dabei seien doch die Pflanzen die eigentlichen Magier des Lebens. Sie bringen es fertig, Sonnenlicht und Kohlenstoff zusammen mit Wasser in Leben zu verwandeln. Eine „Maschine, die die Erde an den Himmel bindet“. Treffender lässt es sich nicht sagen.
Sie waren die Ersten auf der Erde und haben ihr Antlitz auf einzigartige Weise geformt. Und allein in ihrem Sein liegt das Tun: Sie mussten sich nicht bewegen, nicht handeln und veränderten doch global die Welt. „Sein bedeutet für sie Welt machen, und umgekehrt ist die Konstruktion von (unserer) Welt, das Weltmachen, nur ein Synonym für das Sein.“ Passagen wie diese verlangen es, mehrmals gelesen zu werden. Und es mag eine Prise Unsicherheit bleiben, sie wirklich verstanden zu haben. Doch das Buch liefert zahlreiche ungewöhnliche Denkanstöße, die uns zu einem integralen, ja spirituellen Blick verhelfen auf das, was Natur kennzeichnet. Nichts in der Welt lässt sich voneinander trennen, alles hängt unauflöslich miteinander zusammen. Ein Geflecht des Lebendigen, wo alles ineinander vermengt ist, ineinander lebt, weil es unentwegt den Stoff wechselt. In Coccias Worten: „Was umfängt, wird umfangen – und was umfangen wird, umfängt. Ein unauflösbares Verhältnis, das wir Klima nennen.“
Emanuele Coccia
Die Wurzeln der Welt
Eine Philosophie der Pflanzen
Hanser. 192 Seiten, 20 €