Hören Sie doch mal wieder bewusst einen Musiktitel aus Ihrer Jugend an: Sie werden staunen, welche Erinnerungen hochkommen, die Sie längst vergessen glaubten. Oder vergleichen Sie mit Ihrem Ehepartner Erinnerungen an die erste Begegnung. Kann es wahr sein, was der andere darüber abgespeichert hat? Schon stecken Sie mitten in der Erforschung „falscher Erinnerungen“.
Ganz beiläufig lassen die Neuropsychologin Ylva Østby von der norwegischen Universität Oslo und ihre Schwester, die Publizistin Hilde Østby, ihre Leser tief in die Wissenschaft vom Gedächtnis eintauchen. Unter anderem geht es dabei um die Mechanismen, wie das Gehirn Erlebtes über das Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis überführt. Wesentlich dabei ist der Hippocampus, eine Struktur im Gehirn, deren Form an ein Seepferdchen erinnert.
Diese Hirnregion hat zwei zentrale Aufgaben: Sie dient als Speicher zwischen Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis. Außerdem werden hier getrennt abgespeicherte Erinnerungsfetzen bei Bedarf wieder zu einem Bild zusammengefügt. Dabei kann das Ergebnis von Mal zu Mal anders aussehen. Ehe Sie also das nächste Mal in einem Disput behaupten, Sie würden sich „glasklar erinnern“, sollten Sie sich bewusst machen: Erinnerungen sind nur Rekonstruktionen unseres Gedächtnisses, stets balancierend zwischen Realität und Fantasie – und die Gabe, vergessen zu können, kann eine Gnade sein.
Hilde Østby, Ylva Østby
Nach Seepferdchen tauchen
Berlin-Verlag, 320 S., € 24,– ISBN 978–3–8720–1374–3
E-Book für € 19,99, ISBN 978–3–8270–7972–5