9000 Jahre alt ist das Grab der „Schamanin von Bad Dürrenberg“. Ein Forscherteam fand faszinierende Details über die einst hochverehrte Frau heraus.
Wo heute der Kurpark im sachsen-anhaltinischen Bad Dürrenberg liegt, betteten Menschen um 7000 v.Chr. eine etwa 30-jährige Frau und einen Säugling zur letzten Ruhe. Für die Mittelsteinzeit war es ein Prachtgrab: Eine achteckige Grube, darin eine mit Lehm verputzte Auskleidung aus Weidenrutengeflecht, leuchtend orangerot gefärbt.
Die Beigaben machen diesen 1934 entdeckten Ort zum reichsten Grab Mitteleuropas seiner Zeit, urteilt Harald Meller, Landesarchäologe von Sachsen-Anhalt: Schmuck aus Tierzähnen und Wildschweinhauern, Werkzeuge aus Knochen und Geweih, fein bearbeitete Feuersteinsplitter und -klingen. Dazu fanden sich Rückenpanzer von drei Sumpfschildkröten mit Schabspuren an den Innenseiten, als sei öfters etwas darin angerührt worden, ferner Schalen von Süßwassermuscheln – vielleicht „Dosierlöffel“. Und, am spektakulärsten: ein Rehgeweih als Kopfschmuck.
Besonders dieses Detail hatte längst bei den Archäologen den Verdacht genährt, hier sei eine Schamanin beerdigt worden. Durch eine Nachgrabung ab 2019 und ein mehr als zweijähriges Forschungsprojekt unter Mellers Leitung kam eine Fülle weiterer Hinweise ans Licht – und der Verdacht verdichtete sich zur Gewissheit.
In einem spannenden Wissenschaftskrimi betonen Meller und sein Co-Autor, der Historiker Kai Michel, die herausragende Bedeutung des Fundes und erläutern die neuen Resultate. Nur ein Detail sei hier verraten: Aufgrund einer anatomischen Anomalie an der Schädelbasis konnte die Frau spontan die Blutzufuhr zum Hirnstamm reduzieren – sie musste nur den Kopf nach rechts drehen und in den Nacken legen. Durch die verminderte Blutversorgung zuckten die Augäpfel dann in wildem Rhythmus nach unten und oben – ein geisterhafter Anblick. Hielt sie den Kopf wieder gerade, verschwand das Zucken.
Jeder ihrer Zeitgenossen, der das erlebt hat, muss zutiefst beeindruckt gewesen sein. Und für die dunkelhäutige Frau mit den hellen Augen war es wohl der perfekte Einstieg in eine Schamanenkarriere. Thorwald Ewe
Harald Meller, Kai Michel
DAS RÄTSEL DER SCHAMANIN
Eine archäologische Reise zu unseren Anfängen
Rowohlt, 368 S., € 28,–
ISBN 978-3-498-00301-2