Prognosen können falsch sein, tröstet Kurt Kotrschal. Diesen Zuspruch hat der Leser gegen Schluss des Buchs auch nötig. Denn davor hat der renommierte Wiener Verhaltensbiologe ein beklemmendes Szenario entworfen. Und er lässt keinen Zweifel daran, dass er klare Anzeichen für diese Zukunft der Menschheit sieht.
Die aktuellen Möglichkeiten zur genetischen Optimierung des Menschen – argumentiert der Autor – könnten künftig zur Entstehung von zahlenmäßig kleinen, aber extrem mächtigen Eliten führen. Es sei zu erwarten, dass eine dünne Schicht von göttergleich Herrschenden sich durch perfektionierte Eigenschaften deutlich von einer unterprivilegierten Masse abheben werde. Dies würde biologisch die Aufspaltung der Menschheit in zumindest zwei Unterarten bedeuten: in Supermächtige, vielleicht sogar Unsterbliche, und in eine Underdog-Arbeiterklasse.
Doch bevor Kotrschal den Leser mit diesem gruseligen Ausblick auf morgen konfrontiert, hat er ihm eine Fülle von Fakten über die Gegenwart der Tiere und Menschen geboten. Was haben sie gemeinsam – und was unterscheidet sie?
Menschen neigen dazu, sich selbst als vermeintlich verstandesgesteuert über die Tierwelt zu erheben. Doch Kotrschal widerspricht entschieden: Menschen seien im Gegenteil zutiefst irrationale Wesen. Nirgendwo werde das im Alltag deutlicher als im Gepolter der Beziehungskisten: beispielsweise das Einfordern von Monogamie des Partners bei gleichzeitiger Akzeptanz eigener Seitensprünge. Oder das beklemmende Phänomen familiärer Kindstötungen, überwiegend von Männern begangen und überwiegend an ihren Stiefkindern.
Kotrschal macht den Blick auf Verborgenes frei: Mensch und Tier haben im Lauf ihrer Evolution eine begrenzte Anzahl von sozialen Verhaltensstrategien mitbekommen. Mit diesem soziobiologischen Instrumentarium stolpern die Menschen durch ihre immer komplexer werdende Welt. Und manche stürzen ins Bodenlose.
Was der Wiener Forscher schildert, macht oft frösteln. Aber er liefert plausible Begründungen für vieles. Äußerst erhellend! Thorwald Ewe
Kurt Kotrschal
MENSCH
Brandstätter, 315 S., € 25,–
ISBN 978–3–7106–0368–6
E-Book für € 19,99
ISBN 978–3–7106–0427–0