Ein markantes Beispiel: Johann Jack Unterweger, der eine junge Frau grausam erdrosselt hatte, wurde in der Haft zum umjubelten Knastpoeten und gewann bekannte Intellektuelle für ein Gnadengesuch. Eine Gnade, die er missbrauchte, um eine Blutspur von Mord und Folter zu ziehen. Bandelows verstörende Erkenntnis: Wenn solche Fürsprecher erfahren, aus welchem Holz ihr Mandant gestrickt ist, biegen sie sich die Fakten so zurecht, dass er als Verleumdungsopfer erscheint.
Selbst die Gequälten sind nicht vor der Verblendung gefeit. So ließ Natascha Kampusch, die acht Jahre in der Gefangenschaft von Wolfgang Priklopil verbrachte, etliche Fluchtchancen ungenutzt. Eine Erklärung für dieses Verhalten ist das Stockholm- Syndrom: Viele Geiseln fühlen sich nach einiger Zeit zu ihren Unterdrückern hingezogen. Befremdlich ist allerdings, dass Bandelow die Motivation der Täter stereotyp auf die obskure Borderline-Störung reduziert, was derzeit in der Psychiatrie in Mode ist.
Rolf Degen