Ein Mann fährt in einem gestohlenen Wagen davon und beteuert später, sich nicht an den Vorfall zu erinnern. Eine Frau wird von einem angeblich Unbekannten bedroht, der aber behauptet, sie zu kennen. Die Fälle, die der Neurologie- Professor Christof Kessler schildert, könnten aus Fernsehkrimis stammen. Doch es handelt sich um Krankengeschichten: Der Mann leidet unter einem vorübergehenden Gedächtnisverlust und die Frau unter der Unfähigkeit, Gesichter wiederzuerkennen.
Alle Fälle im Buch beruhen auf der täglichen klinischen Arbeit des Autors. Seine Erfahrungen hat Kessler stark verfremdet und wie Kurzkrimis aufgebaut: Als Ich-Erzähler trägt er verschiedene Indizien für eine Diagnose zusammen und gerät auch mal auf eine falsche Fährte. Nebenbei erfährt der Leser Wichtiges über Ursachen, Symptome und Verläufe neurologischer Krankheiten.
Kesslers Stärke ist es, klar zu zeigen, wie einschneidend die Diagnose für den Patienten sein kann. Einfühlsam skizziert er zum Beispiel, wie eine junge Frau reagiert, als sie erfährt, dass sie an Multipler Sklerose erkrankt ist. Und er wirft wichtige Fragen auf, etwa, wie viel Distanz ein Arzt wahren sollte. Lesenswert ist das Buch daher auch für Ärzte: Es erinnert sie daran, dass eine schlimme Diagnose dem Patienten den Boden unter den Füßen wegziehen kann.
Hanna Drimalla