Ein notwendiger Hinweis vorweg: Wer hier ein Buch aus der populären Kategorie erwartet, wie sie Deutschlands schreibender Förster Peter Wohlleben vorlegt, wird enttäuscht werden. Der kanadische Anthropologe Eduardo Kohn, Professor an der McGill University in Montreal, erzählt zwar auch spannend. Von seinen Erlebnissen beim Volk der Runa im Tropenwald des oberen Amazonas, vom Austausch mit ihren Schamanen, von Begegnungen mit echten Jaguaren – oder auch Jaguaren in Menschengestalt.
Doch diesem radikalen Denker dann weiter zu folgen, erfordert konzentrierte Lesearbeit. Ausgehend vom verwobenen Ökosystem Wald mit seinen Pflanzen, Tieren und Menschen begründet er in durchaus philosophischen Windungen, wieso er behaupten könne, Wälder würden denken. Darauf aufbauend weitet er die Anthropologie – die Wissenschaft vom Menschen – resolut aus: der Mensch sei wohl doch nicht im Sinne klassischer Denker „das Maß aller Dinge“. Und schon gar nicht sei er befugt, dem biblischen Gebot folgend, sich „die Erde untertan“ zu machen.
Kohns Thesen sind so an- wie aufregend. Wer sich darauf einlässt, dem eröffnet seine neue Anthropologie eine veränderte Sicht auf das Miteinander von Menschen und Nichtmenschen. Denn Kohn forciert die Einsicht, dass der Mensch nicht über seiner Umwelt steht. Sondern untrennbar mitten darin. Jürgen Nakott
Eduardo Kohn
Wie Wälder denken
Matthes & Seitz, 383 S., € 32,—
ISBN 978-3-7518-0395-3