Techno-Fantasien haben die nerdigen Computer-Labore längst verlassen und die Gesellschaft auf sehr reale Weise digitalisiert. Die KI dominiert.
Das Highlight zuerst: Der Autor hat die Epoche der Digitalisierung als journalistischer Zeitzeuge begleitet und verwebt eigene Aufzeichnungen mit den Sichtweisen einflussreicher Persönlichkeiten wie Nicholas Negroponte, Bill Gates, Elon Musk und Julian Assange. Scheinbar mühelos entsteht eine hoch spannende und erkenntnisdichte Darstellung des expandierenden digitalen Universums in der gesellschaftlichen und politischen Sphäre.
Drei Ereignisse sind für Kreye entscheidend: Der Zugang zum World Wide Web 1992, die Einführung des iPhones 2007 und die Verfügbarkeit von generativer KI mit ChatGPT 2022. Zum Einstieg geht es ins Media Lab des MIT im amerikanischen Cambridge. Dessen Gründer Nicholas Negroponte wollte alle Medienformen in einem Rechner vereinen, der Teil des Alltags werden sollte. Sein Mitarbeiter Marvin Minsky und der Programmierer John McCarthy hatten schon 1955 ein Forschungsprojekt namens „Artificial Intelligence“ beantragt. Spinnereien damals.
Über das CERN in Genf führt der Weg nach San Francisco und dessen lässig-optimistische Coding-Kultur. Im Silicon Valley bringen 1997 Sergej Brin und Larry Page Google an den Start. 1994 gründet Jeff Bezos Amazon in Seattle. Der Aufstieg des Netzkapitalismus beginnt.
Dann folgen die dunklen Seiten der digitalen Sphäre wie Hass und Hetze, Nazis, Fake News, Datensammelwut und Überwachung. Web und Social Media werden zu Mitteln des Kulturkampfs mit religiösen Zügen. Die Hybris der Digitalelite schafft leider bis heute kein Vertrauen. Whistleblower mischen sich ein. Der Seitenblick auf Deutschland mit digitalen Innovationen und verpassten Chancen inklusive.
Kreye unterscheidet regelbasierte und neuronale KI-Modelle und spart heikle Fragen nicht aus. Was, wenn Maschinenentscheidungen nicht mehr nachvollziehbar sind? Wer entscheidet über Intelligente Waffensysteme?
Vieles ist bekannt, die Perspektive neu. Wer sich nur ansatzweise für das Verständnis der digitalen Welt interessiert, sollte den hervorragend geschriebenen Text des preisgekrönten Journalisten schnell auf die Leseliste setzen. Die perfekte Einstimmung auf das, was noch kommt. Ulrich Schendzielorz
Andrian Kreye
Der Geist aus der Maschine
Eine superschnelle Menschheitsgeschichte des digitalen Universums
Heyne, 368 S., € 24,–
ISBN 978-3-453-21862-8