Der US-amerikanische Anthropologe und Geograf beschreibt das Leben in 39 traditionellen Gesellschaften und den Umgang dort mit Alter, Familie, Krieg, Recht, Nahrung, Religion und Sprache. Dann zieht er Vergleiche mit den Verhältnissen in modernen westlichen Staaten.
Steinbeil versus Motorsäge – was besser abschneidet, zeigen Einblicke in Urwalddorf und Großstadtdschungel. So haben traditionell lebende Kleingruppen einen ganz anderen Wirtschaftsbegriff: Ihnen geht es beim Handeln nicht in erster Linie um Ware oder Gewinn, sondern um die Festigung der Beziehung zwischen Käufer und Verkäufer – Gewinnmaxi- mierung der Zwischenmenschlichkeit. Auch das Verkehrsrecht auf Papua-Neuguinea erstaunt den westlichen Leser: Unfallverursachern ist die Fahrerflucht erlaubt, da sie sonst von den Angehörigen des Unfallopfers erschlagen werden könnten.
Diamond versteigt sich nicht zur Romantisierung der archaischen Zustände. Er berichtet von Witwenmorden, von Selbstmorden alter Menschen, die der Gruppe zur Last fallen, und vom kleinen Funken, der genügt, um einen langjährigen Stammeskrieg auszulösen. Das Resultat ist ein verhaltenes Loblied auf die Zivilisation, inklusive der Mahnung an den Leser, Errungenschaften wie Krankenversorgung und Nahrungsüberschuss nicht als selbstverständlich hinzunehmen – und sich nicht zu weit vom Boden des Miteinanders zu entfernen. Denn der ist in den Kleingesellschaften noch heute der Humus, auf dem das Überleben gedeiht. Diamond gelingt die Gratwanderung zwischen Lesbarkeit und Wissenschaft. Allerdings schreibt er aus der Perspektive eines US-Amerikaners, was zum Beispiel das Kapitel über Rechtsprechung für den deutschen Leser schwer verständlich macht. Doch der US-Zentrismus des Autors belegt bloß das alte Problem der Völkerkunde: Jeder Ethnologe gehört einer Kulturgruppe an und kann nur aus ihrer Perspektive beschreiben, was ihm fremdartig erscheint.
Dirk Husemann, bdw 09/2013