Ein guter Freund erzählt eine traurige Geschichte – und plötzlich fühlt man sich selbst ganz traurig. Wie kann das sein? Empathie galt lange als biologisch nicht belegbares Phänomen. Mit der Entdeckung der Spiegelneuronen 1990 änderte sich das schlagartig. Diese Nervenzellen im Gehirn simulieren die beobachteten Tätigkeiten eines anderen Menschen. Sie sind die biologische Grundlage für Empathie.
Der Neurobiologe Christian Keysers arbeitet seit Jahren an der Erforschung der Spiegelneuronen. In seinem Buch berichtet er von ihrer Entdeckung, nennt die Forschungserfolge und belegt eindrucksvoll, welche Rolle Empathie im Alltag spielt. Schneidet sich zum Beispiel beim gemeinsamen Kochen jemand mit dem Messer, so spüren wir für einen kurzen Moment ein ganz ähnliches physisches Unbehagen, wie wenn wir uns selbst geschnitten hätten. Auch die Tendenz, einen Partner zu wählen, der einem ähnlich ist, lässt sich durch Empathie erklären: „Nur wer mir gleicht, erkennt mich ganz”, schreibt Keysers.
Die Kernaussage lautet: Wir verstehen einander ohne Worte, weil wir die Gefühle anderer als unsere eigenen empfinden. Bei kleinen Kindern ist dies ein unabdingbarer Lernprozess, der sichtbar wird, wenn sie die Gesichtsausdrücke Erwachsener imitieren. Im Licht der Spiegelneuronen erscheint auch Autismus in neuem Licht. Einziger Wermutstropfen des Buchs: Es fehlt ein Anhang mit Erklärungen der Fachausdrücke.
Sonja Klein