Um den therapeutischen Alltag zu bestehen, bringen die Seelenheiler danach ein ganzes Repertoire von Verstellungen und Scheinheiligkeiten auf die Bühne, das nicht selten in die Farce abrutscht. Bereits die eigene Berufswahl, die oft auf Unsicherheiten und Selbstzweifeln fußt, wird von vielen nachträglich zum heroischen Akt stilisiert. Jeder Zweifel am Durchblick wird dabei unter den Teppich gekehrt. Auch die Klienten zimmern sich ein verbrämtes Bild ihrer Heiler zurecht. Dümmliche Schwatzliesen werden als weise und souveräne Mütter phantasiert, bösartige Ehrgeizlinge als abgeklärte Großväter, schreibt Eva Jaeggi unverhohlen.
Doch bei aller Nestbeschmutzung hält sie letztlich am zentralen Dogma des Standes fest: Psychotherapie funktioniert auch wenn die meisten Psychotherapeuten nicht gerade diesen Eindruck wecken. Da wird aus der Not eine Tugend gemacht: Die Vorbildfigur so meine freche These für den Psychotherapeuten ist nicht die des real beziehungsfähigen Menschen, sondern die des Schauspielers.
Rolf Degen