Maylis de Kerangal dringt mit ihrem Roman zu einer Tragödie vor, die in ihren Details so unvorstellbar ist, dass man sie sich nicht ausdenken, sondern nur mit gründlicher Recherche zum Stoff eines Buches machen kann: Der Gymnasiast Simon Limbres verunglückt bei einem Autounfall, und die Ärzte stellen seinen Hirntod fest. Die Eltern sehen ihren Jungen auf der Intensivstation „warm, rosig und bewegt statt kalt, blau und steif”. Denn Herz und Lunge arbeiten dank moderner Maschinen. Sie haben den Tod ihres Sohnes noch nicht verkraftet, da werden sie auch schon mit der Frage der Organspende konfrontiert. Dazu muss man posthum den Willen des Verstorbenen ergründen.
Die französische Schriftstellerin beschreibt die gegensätzlichen Emotionen bei der Organtransplantation sehr treffend, etwa die Trauer bei den Angehörigen des Spenders und die Hoffnung beim Empfänger. Maylis de Kerangal hat dafür ausgiebig vor Ort recherchiert – sicher und überzeugend fängt sie die Atmosphäre der Intensivstation, der Besprechungszimmer und des Operationssaals ein. Und sie kennt die kryptische Ausdrucksweise der Mediziner, die von „HLA-Kompatibilität” zwischen Spender und Empfänger sprechen und damit das Problem meinen, ob sich die Gewebe vertragen. Aber sie verwendet das medizinische Wissen sparsam dosiert, oft als bloßes Atmosphäre stiftendes Detail. Ihr Buch ist zu allererst eine packende literarische Reportage.