Hier die graue Steinwüste, dort das üppige Grün – Stadt und Land gelten als Gegensätze schlechthin. Doch immer mehr Tiere erobern das unwirtliche Terrain. Bernhard Kegel hat ihre Fährte aufgenommen.
„Die Städte sind zu einer, vielleicht sogar der entscheidenden Schnittstelle zwischen Natur und Mensch geworden”, schreibt Bernhard Kegel. Mit anderen Worten: Viele Städter, vor allem in den ungezügelt expandierenden Metropolen, bekommen Pflanzen und Tiere fast nur noch vor ihrer Haustür zu Gesicht. Aber was sehen sie da? „Tiere in der Stadt” – da denkt man an Füchse und Wildschweine, vielleicht noch an Ratten und Reiher. Doch Bernhard Kegel beginnt mit den kleinen Untermietern – mit Blutsaugern und Schmarotzern, die nicht nur Menschen quälen, sondern auch Tiere. Anschließend beschäftigt er sich mit dem urbanen Klima, das längst eigenen Gesetzen gehorcht, und mit dem städtischen Grün. Erst dann nimmt er sich die Wirbeltiere vor. Dabei stützt er sich auf eine Vielzahl wissenschaftlicher Untersuchungen. Kegel wertet diese Quellen aus, ordnet die Erkenntnisse ein und – vor allem – übersetzt sie in eine anschauliche Sprache. Dass er das meisterhaft kann, hat der erfolgreiche Autor von kompetenten Sachbüchern („Die Ameise als Tramp”) und Romanen mit naturwissenschaftlichem Hintergrund („Wenzels Pilz”, „Ein tiefer Fall”) schon vielfach bewiesen.
Besonders spannend ist der Abschnitt, der sich damit beschäftigt, was das eigentlich für Tiere sind, die in der Stadt eine neue Heimat finden. Warum ist zum Beispiel ausge rechnet die Amsel, ein scheuer Waldbewohner, zum Stadtvogel schlechthin geworden? Eine erstaunliche Erkenntnis: Welches Tier sich für das neue Leben im Biotop Stadt entscheidet, hängt nicht nur von der Art ab, sondern auch vom Individuum. Wie bei den Menschen gibt es ausgesprochene Abenteurer, die den Sprung ins Neue wagen, auch wenn der mit großen Risiken verbunden ist. Das Auswandern fällt einem Tier umso leichter, je karger und bedrohlicher das Leben am alten Standort war. Das erinnert an die Millionen Menschen, die einst aus Europa in das unbekannte Amerika aufgebrochen sind.
Klaus Jacob