„Ihr Internet-Zentristen, Solutionisten und Epochalisten!” Wortgewaltig wie ein Barockprediger teufelt der gebürtige Weißrusse Evgeny Morozov von seiner Kanzel herunter auf die Gemeinde der Internet-Fans, Geeks und Nerds ein. „Technologische Amnesie und vollkommene Gleichgültigkeit gegenüber der Geschichte” attestiert er ihnen, den Adepten einer „neuen Religion”, die ebenso naiv wie besinnungslos das „Internet als einen nie zuvor erreichten Höhepunkt der Zivilisation” und als universelles Allheilmittel gegen sämtliche Mängel dieser Welt feierten. Das impliziere „die unnachgiebige Suche nach Problemen, die oftmals gar nicht existieren”.
Die Internet-Gläubigen zeichnen sich laut Morozov durch technikgeschichtliche Ignoranz, ahistorisches Denken und abgrundtiefe Verachtung für Demokratie und Politik aus. Die perfiden Absichten und Methoden der umtanzten goldenen Kälber Google, Amazon, Twitter und Facebook blieben den unbedarften Nutzern hingegen verborgen.
Nun könnte man diese knapp 600 Seiten lange Bußpredigt als eine weitere Tirade gegen den Siegeszug der Digitalisierung abtun, wenn der Autor nicht zahlreiche Belege für seine Thesen und gewichtige, des Traditionalismus unverdächtige Philosophen und Wissenschaftler als Kronzeugen angeführt hätte. So empfiehlt sich sein Buch trotz aller Polemik als Navigationshilfe durch den allgegenwärtigen Internet-Hype.
Hans Schmidt