Der dänische Verhaltensforscher Niko Tinbergen reiste vor 85 Jahren für ein Jahr mit seiner Frau an die Ostküste Grönlands. Dänemark schottete die Insel damals weitgehend ab, nur einige Wissenschaftler durften einreisen. Der Osten war ein besonders abgelegener Teil Grönlands. Tinbergen fand eine Region im Umbruch vor: Leben und Alltag spielten sich zum großen Teil noch nach alter Tradition ab, doch der dänische Einfluss hinterließ bereits seine Spuren. So kauften Einheimische Baumwollkleidung und verkauften ihre Felle an die Dänen. Und Fangschiffe, die vor der Küste manövrierten, minderten ihren Jagderfolg.
Tinbergen ließ sich in seinem nordischen Jahr ganz auf die Menschen ein, lernte ihre Sprache und teilte ihre teilweise sehr gewöhnungsbedürftigen Speisen wie das rohe Fleisch einer Robbe, die zuvor monatelang gelagert wurde. Er lernte Kajak fahren und jagen, weil er am eigenen Leib erlebte, dass in diesen Breiten nur überleben kann, wer erfolgreich jagt.
Warum soll man ein Buch lesen, das vor fast einem Jahrhundert geschrieben wurde – und jetzt erstmals auf Deutsch erschien? Beeindruckend ist vor allem der Erzählstil von Tinbergen, der als ein Vater der Verhaltensforschung gilt – keine altertümlichen Formulierungen, keine Übertreibungen, keine aufgebauschten Abenteuer. Tinbergen beschreibt als guter Beobachter unaufgeregt, wie die Menschen leben und wie sich die Natur im Wechsel der Jahreszeiten verändert. Das Buch ist ein wertvolles Zeitdokument. Klaus Jacob
Niko Tinbergen
ESKIMOLAND
C.H. Beck, 240 S., 22,–
ISBN 978–3–406–74171–5
E-Book für € 17,99, ISBN 978–3–406–74172–2