Wir lassen uns verrückt machen, indem wir es dem einflussreichen amerikanischen Psychiaterverband gestatten, in der neuen Ausgabe „DSM-5″ seiner Diagnose-Bibel fragwürdige neue psychische Störungen festzuschreiben und die Kriterien für die Diagnose von Geisteskrankheiten so zu lockern, dass immer größere Teile der Bevölkerung in psychiatrische Behandlung gehören. Diese harsche Kritik äußert der amerikanische Psychiater Allen Frances, der über die Formulierung des Vorgänger-Katalogs DSM-4 präsidierte.
Die neue Version habe die Kriterien für einige Störungen so weit gefasst und ein Potpourri von Pathologien nachgereicht, die so unspezifisch definiert seien, dass es am Ende jeden treffen könne. bdw berichtete darüber in Heft 3/2013 im Beitrag „Welches Kind ist noch normal?”. Als Beispiel nennt Frances die Esssucht („Binge-Eating-Störung”), die er augenzwinkernd bei sich selbst diagnostiziert: „Eine Attacke in der Woche über drei Monate hinweg, und schon sind Sie Kandidat für diese angebliche psychische Krankheit.”
Frances’ Prognose: Die Pharmaindustrie wird ein Füllhorn von Psychopharmaka über die angeblich Kranken ausschütten. Und alle werden wegschauen: „die Ärzte, die Medikamente verschreiben; die Patienten, die sie verlangen; die Forscher, die neue Störungen erfinden, und die Verbraucherorganisationen und Lobbyvereinigungen, die sich für mehr Therapien einsetzen”.