„Ich habe wohl in meinem Leben Märchen geschrieben, aber ich hüte mich, in der Wissenschaft die Phantasie über das Wahrgenommene hinaus schweifen zu lassen.“
Adelbert von Chamisso (Reise um die Welt, 1836)
Wer diesen Namen hört, denkt an die Erzählung des Mannes, der seinen Schatten an den Teufel verkaufte: „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“. Dass der 1781 geborene Autor, dessen adlige Familie in der Französischen Revolution nach Preußen floh, auch ein großer Naturforscher war, ist kaum bekannt. Chamisso verbrachte seine Jugend in Berlin, wurde Offizier, wandte sich dann aber den Kreisen der literarischen Salons zu. Und mit dreißig begann er ein Studium, um Naturkundler zu werden. In der Erzählung des Peter Schlemihl nahm er die Expedition vorweg, die er an Bord des russischen Schiffs Rurik als Titulargelehrter für Pflanzenkunde begleitete. Die dreijährige Reise führte quer über den Atlantik nach Brasilien, in den Pazifik und in die Beringstraße, nach Hawaii, zu den Ratak-Inseln und schließlich über die Südspitze Afrikas zurück nach Sankt Petersburg.
Chamissos wissenschaftliche Verdienste sind groß. Er entdeckte den „Generationswechsel“ bei den Salpen: Geschlechtliche und ungeschlechtliche Vermehrung wechseln sich ab. Und er fand heraus, wie Korallenriffe entstehen und dass Korallentiere ihre Baumeister sind. Aber Chamisso war nicht nur kühler Naturwissenschaftler – er nahm auch großen Anteil an den fremden Kulturen. Vor allem beklagte er die schlechte Behandlung der Einheimischen durch Missionare.
Als Chamisso nach Berlin zurückkehrte, wurde sein Schlemihl in halb Europa gelesen. Doch den Rest des Lebens verbrachte er vor allem mit der Auswertung seiner Fundstücke, darunter Herbarbelege von knapp 1.500 Pflanzenarten und 600 Samenproben.
Das alles beschreibt Matthias Glaubrecht spannend und ohne Pathos. Der Zoologe und Wissenschaftsjournalist hat fast 20 Jahre lang Quellen studiert und 10 Jahre in einem Forschungsprojekt zu Chamissos Reisetagebüchern mitgearbeitet, die nun in einer kommentierten Transkription vorliegen. Übrigens: Im November wird Glaubrecht der renommierte Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa verliehen. Uta Altmann
Matthias Glaubrecht
DICHTER, NATURKUNDLER, WELTERFORSCHER
Adelbert von Chamisso und die Suche nach der Nordostpassage
Galiani, 688 S., € 36,-
ISBN 978-3-86971-224-6
