„In großen Teilen willfährig” lautet das Urteil des Heidelberger Medizinhistorikers Wolfgang Eckart zur Rolle der deutschen Medizin während der NS-Diktatur. In Zahlen ausgedrückt liest sich das Ergebnis der Anbiederung an die nationalsozialistische Ideologie so: Mindestens 250 000 Kranke, die zwischen 1939 und 1945 in Heil- und Pflegeanstalten ermordet wurden, Zehntausende, die Experimenten in Konzentrations- und Gefangenenlagern zum Opfer fielen, fast 400 000 Menschen, die durch Zwangssterilisationen ihrer Zeugungsfähigkeit beraubt wurden.
Hinter den Zahlen stehen Menschen, und hinter jedem Schicksal steht ein Täter. Das „niedere Mordpersonal” beim Namen zu nennen und Forschungslücken zu schließen, ist eine Aufgabe der neueren Medizin und Wissenschaftsgeschichte, die das verbrecherische Agieren deutscher Ärzte unter der nationalsozialistischen Diktatur intensiv durchforscht und rekonstruiert hat. Eine zweite, womöglich noch wichtigere Aufgabe ist es, zu verstehen, wie es dazu kommen konnte.
Wolfgang Eckart stellt nicht nur den derzeitigen Forschungsstand umfassend dar, er bettet das verbrecherische Geschehen auch in den politischen und geisteswissenschaftlichen Kontext vor und nach 1933 ein. So wird eindrücklich sichtbar, wie lange sich die Entwicklung auf ideengeschichtlicher und ideologischer Ebene anbahnte – und wie schnell das zuvor Unvorstellbare in die Tat umgesetzt wurde, als der Boden dafür bereitet war.