Der Harvard-Professor und renommierte Ernährungswissenschaftler Richard Wrangham vertritt eine steile These. Er behauptet: Die archaische Menschheit habe sich selbst zu relativ friedlichen Wesen gezähmt, indem sie über viele Generationen immer wieder die Aggressivsten durch Todesstrafe aus dem Genpool entfernt habe. Zugleich seien allerdings – durch die stetige Gewöhnung an das geplante Töten von Artgenossen – der Krieg und weitere kollektive Gräueltaten in die Welt gekommen.
Das klingt spannend. Aber der Autor schafft es nicht, seine zentralen Thesen plausibel zu belegen. Obendrein verstrickt er sich in Ungereimtheiten. Zum Beispiel: Die vor etwa 300 000 Jahren begonnene Selbstzähmung lasse sich an Skelettvergleichen ablesen. Ähnlich, wie Hunde feingliedriger und ihre Schädel kindhafter wurden als die ihrer wölfischen Vorfahren, zeige sich dieser „Domestikationseffekt“ auch vom Neandertaler zum Menschen. Hoppla! Neandertaler sind keineswegs die Vorfahren des modernen Menschen, auch wenn wir ein paar Prozent ihrer Gene in uns tragen. Das räumt Wrangham zwar in einem Halbsatz ein, fährt aber ungerührt mit seiner Argumentation fort.
Im Verlauf des Buchs wird klar: Wrangham läuft in den Fußstapfen seines Harvard-Kollegen Steven Pinker. Der Psychologe Pinker postulierte schon 2011, die Menschheit habe sich von gewalttätigen zu immer friedlicheren Gruppen entwickelt. Anthropologen ‧haben inzwischen nachgewiesen, dass dies nicht wahr ist. Leider. Thorwald Ewe
Richard Wrangham
DIE ZÄHMUNG DES MENSCHEN
DVA, 496 S., € 28,–
ISBN 978–3–421–04753–3
E-Book für € 27,99, ISBN 978–3–641–20155–5