Es bedarf schon etwas Glück, um diese Beobachtung zu machen: Elf Männchen der Sägehornbienenart Melitta leporina haben sich an einem dürren Fruchtstand für die gemeinsame Nachtruhe versammelt (siehe Bild). Im Kollektiv schlafen – das ist eine der vielen verblüffenden Eigenarten, die unter den gut 560 Wildbienenarten in Deutschland zu bestaunen ist. Der Tübinger Biologe Paul Westrich hat sie in einem gigantischen Werk und in mühseliger Recherchearbeit zusammengetragen. Ein Verdienst, das Beachtung verdient: Zwölf Jahre lang hat er über 3000 wissenschaftliche Publikationen ausgewertet und sich in anderen Regionen Mittel- und Südeuropas auf die Suche nach in Deutschland extrem seltenen Bienenarten gemacht, um sie zu beobachten.
Vor knapp 30 Jahren erschien Westrichs erstes großes Wildbienenbuch: „Die Wildbienen Baden-Württembergs“. In seinem neuen Werk holt der berühmte deutsche Insektenforscher noch weiter aus und berichtet über „die Wildbienen Deutschlands“. Mehr als drei Kilogramm wiegt der beeindruckende Wälzer, der sich gewiss nicht für eine Entdeckungssafari in Feld, Wald und Flur eignet. Westrich verzichtet ohnehin auf einen Bestimmungsschlüssel. Der Experte hat eine andere Intention. Das Buch informiert über Lebensräume, Lebensweise, Nutznießer und Gegenspieler der Bienen, das Zusammenspiel von Bienen und Blüten und hält im letzten und größten Teil Steckbriefe der einzelnen Arten bereit. „Das Werk liefert somit eine fachliche Grundlage für einen nachhaltigen Schutz dieser faszinierenden Blütenbesucher“, so Westrich in seiner Einleitung.
Damit wird klar: Das Buch richtet sich nicht an ein breites Publikum. Die unglaubliche Informationsfülle – das Literaturverzeichnis umfasst circa 70 Seiten – mag durchschnittlich Interessierte überfordern. Doch mit gut geschriebenen Texten und vielen brillanten Fotos (1700) bereitet Westrich das Thema nicht nur für Wissenschaftler, sondern auch für naturkundlich interessierte Laien unterhaltsam auf. Er versetzt seine Leser immer wieder in Staunen über die große Vielfalt, die der summenden Welt innewohnt.
Biene ist eben nicht gleich Biene, und schon gar nicht gleich Honigbiene. Meist haben wir ein ganzes Volk vor Augen, wenn wir an Bienen denken. Diese höchste Stufe sozialen Verhaltens ist jedoch in der Bienenwelt eher untypisch. Die meisten Bienen leben solitär, also als Einsiedler. Und jede der 565 Arten hat ihren ganz eigenen Lebensraum. Drei Dinge muss er bereitstellen: Er hat den klimatischen Ansprüchen der Art zu genügen, er muss den benötigten Nistplatz vorhalten und ausreichend Nahrung bieten. Nur wenn diese Anforderungen erfüllt sind, besteht eine Chance, die häufig hochspezialisierten Insekten anzutreffen. Die einen nisten nur im Sandboden, die anderen nur in nach Süden ausgerichteten Lössböschungen. Oder man ist in Sachen Ernährung wählerisch: Manche besuchen zum Beispiel nur Korbblütler. Ein wichtiges Buch, das die Augen für ökologische Zusammenhänge öffnet.
Paul Westrich
Die Wildbienen Deutschlands
Ulmer. 824 Seiten, 99 €