Männchen oder Weibchen? Da muss der Biologe an der Spitze des dritten rechten Arms nachschauen. Und wo ist der Mund? Der sitzt zwischen den Achselhöhlen. Und dann sind da noch drei Herzen und acht Arme. Angesichts solcher Unterschiede zu uns Menschen verwundert es nicht, dass sich unsere Entwicklungswege vor über 500 Millionen Jahren getrennt haben.
Die Rede ist vom Oktopus, dem sich Sy Montgomery auf eine Weise nähert, dass dem Leser manches Ah und Oh entschlüpft. Eingehend schildert die amerikanische Naturforscherin und Bestsellerautorin ihre Annäherung an Kraken. Da wird umarmt, geküsst und geforscht. Und sie geht Fragen nach Intelligenz und Gefühlen dieser Tiere akribisch nach.
Wie kann es sein, dass Oktopoden, deren Hirn so klein ist wie eine Walnuss, mühelos kindersichere Verschlüsse öffnen können, “ein Erfolg, der sogar vielen Promovierten versagt bleibt“? Weil sie weniger im Kopf als in ihren akrobatischen Armen intelligent sind. Dort versammeln sich nicht nur 1.600 Saugnäpfe – jeder von ihnen versehen mit 10.000 fühlenden und schmeckenden Rezeptoren –, sondern auch die meisten Neuronen, mit denen sie Informationen verarbeiten.
Montgomery ist eine leidenschaftliche Schreiberin, die sich der Gefahr der Vermenschlichung bewusst ist, jedoch keinen Zweifel lässt, dass “ihre“ Tinten fische klug, zärtlich und neugierig sind. Das kurzweilige Buch lässt den Leser spüren, wie tief eine Freundschaft zwischen Mensch und Krake gehen kann.
Sy Montgomery
Rendezvous mit einem Oktopus
Mare, Hamburg 2017
336 S., € 28,–, ISBN 978–3–866–48265–4