Der Ort, an dem man sich heute Heilung erhofft, war im 19. Jahrhundert ein Schauplatz des Schreckens: das Krankenhaus. Patienten wurden ohne Narkose operiert oder ihre Glieder amputiert. Wer die Tortur überlebte, starb nicht selten an den Infektionen, die sich infolge fehlender Hygiene entwickelten: Operationsbesteck wurde ungewaschen wiederverwendet, und von Viren wusste man nichts. „Todeshaus“ wurde das Hospital im Volksmund genannt.
Mit geradezu gruseliger Anschaulichkeit berichtet die englische Medizinhistorikerin Lindsey Fitzharris von diesem Horror der frühen Medizin – und wie der Schrecken langsam ein Ende nahm. Zu verdanken ist der Wandel nicht zuletzt dem britischen Arzt Joseph Lister, den Fitzharris zur Leitfigur ihrer Schilderungen macht. Lister erlebte 1846 im University College Hospital in London die Einführung der Narkose mit und untersuchte als Arzt die Frage, wie Entzündungen entstehen und verhindert werden können. Angeregt durch die Arbeit anderer Forscher, vor allem von Louis Pasteur, experimentierte Lister mit Karbolsäure und wurde zum Vater der antiseptischen Chirurgie – wobei skeptische Kollegen zunächst meinten, er sei geistig verwirrt und habe „einen Grashüpfer im Kopf“.
Beispielhaft und lebensnah geschrieben ist dieses Buch nichts für zarte Gemüter, aber es gibt einen überraschenden Einblick in eine Art von „Human“-Medizin, die noch gar nicht lange zurückliegt und heute dennoch sehr fern erscheint.
Lindsey Fitzharris
Der Horror der frühen Medizin
Suhrkamp, 276 S., € 14,95, ISBN 978–3–518–46886–9
E-Book für € 12,99, ISBN 978–3–518–75742–0