Forschungsgeschichte. Hier wird die Archäologie selbst ausgegraben.
Die war in Deutschland vor 1933 weitgehend ein Biotop für Fantasten. So stritten Privatgelehrte darüber, ob die Germanen Nachfahren der Atlanter waren. Aus deren Großsteingräbern sollten sich später die gotischen Kathedralen entwickelt haben. Das wurde sogar der nationalsozialistischen Führung zu bunt: Sie tauschte Träumer gegen Wissenschaftler und dann wurde es ernst. Die Nationalsozialisten spannten die Ur- und Frühgeschichte vor jenen Karren, auf dem die Rassenideologie durch Klassenzimmer und Hörsäle rumpelte. Moorleichen sollten von Germanen verurteilte Homosexuelle gewesen sein. Verzierungen an Fundkeramik galten als dekorative Entartungserscheinungen. Der Katalog berichtet von Germanen-Brot, Germanen-Weckern und Ausstellungen, die Vom Ringwall zum Bunker hießen.
Erschrecken packt den Leser, wenn er erfährt, dass die rege Bautätigkeit jener Zeit eine umfangreiche Untersuchung deutschen Bodens ermöglicht hat: Bei den Erdarbeiten zum Bau von Autobahnen, Flugplätzen, Kasernen, Konzentrationslagern und Bunkern waren Archäologen Nutznießer der kriegstreibenden Gesellschaft. Im Gegenzug lieferten Ur- und Frühgeschichtler Beweise für angeblich germanische Siedlungen in halb Europa und damit die ideologische Rechtfertigung für den Einmarsch der Wehrmacht in die Nachbarländer.
Die Autoren des Katalogs wissen, was sie ihrem Fach schuldig sind. Zusammenhänge, die erschrecken, Zitate, die schaudern machen, ordnen sie wissenschaftlicher Akribie und nüchternem Duktus unter. Keine andere Methode demaskiert das Schlimme so überzeugend wie der schnörkellose Bericht. Graben für Germanien ist ein Buch, das auf seinen 192 Schattenseiten das Nachtgesicht der deutschen Archäologie offenbart.
Dirk Husemann