Der praktizierende HNO-Arzt Rainer Jund erzählt aus der Ich-Perspektive kurze Geschichten – über erschütternde Schicksale von Patienten, fehlgeschlagene oder lebensrettende Operationen, fordernde Nachtdienste und Ambulanz-Sprechstunden. Trotz des Hinweises „Alle Figuren und Vorgänge in diesem Werk sind rein fiktiv“ erscheinen die Geschichten sehr glaubwürdig und wahrhaftig erlebt. Möglicherweise hat der Passus rechtliche Gründe oder schützt den Autor vor allzu tiefgehenden Nachfragen. Denn als Ich-Erzähler beschäftigt er sich beispielsweise mit der eigenen Hilflosigkeit angesichts von tödlich verletzten Menschen, mit dem Dünkel und den Fehlern der Kollegen oder dem eigenartigen Verhalten mancher Patienten.
Einen Bogen um das Buch sollten diejenigen machen, die lieber nicht daran denken wollen, wie dünn der Faden zwischen einem glücklichen Leben und dem Tod sein kann. Schwer auszuhalten ist auch, wie konkret Jund manche Situationen schildert: Da hängt zäher gelber Schleim am Kehlkopfspatel, zerplatzen blutige Luftblasen oder wird die „schmierig graue, braun geäderte Mandel“ von der Rachenwand gelöst. Wen das nicht abschreckt, der wird beim Lesen belohnt: Die Erzählungen sind getragen von großer Menschlichkeit und sehr bewegend. Dieser Einblick in das Ärztedasein bedient keinerlei Klischees und ist auch jungen Menschen zu empfehlen, die überlegen, Mediziner zu werden. Frank Frick
Rainer Jund
TAGE IN WEISS
Piper, 240 S., € 20,–
ISBN 978–3–492–05878–0