Schon der deutsche Titel des Buchs birgt Konfliktpotenzial: „Quantenwelt. Wie wir zu Ende denken, was mit Einstein begonnen hat“. Quanten und Einstein? War Einstein nicht zeit seines Lebens gegen die Quantentheorie? Ja, das war er – einerseits. Andererseits gehört er zu den geistigen Vätern der Quantenmechanik, er entdeckte 1905 die Doppelnatur des Lichts: mal Welle, mal Teilchen. Doch die von ihm angestoßene und von Werner Heisenberg und anderen 1927 endgültig formulierte Theorie lehnte er ab, mit den berühmten Worten „Gott würfelt nicht“.
Heute, knapp ein Jahrhundert später, gibt ihm der amerikanische Theoretiker Lee Smolin recht. Ganz im Sinne Einsteins argumentiert Smolin gegen die Quantenmechanik. Ein verwegenes Unterfangen schon für Einstein – und viel mehr noch heute, da sich die Quantenmechanik als überaus erfolgreich erwiesen hat. Alle elektronischen Geräte beruhen auf ihr, sie hat bisher jeden experimentellen Test bestanden. Dennoch hat Smolin gewichtige Argumente gegen sie. Sie sei keine naturwissenschaftliche Theorie im eigentlichen Sinn, denn sie beschreibt die Welt nicht, wie sie „wirklich“ ist, sondern nur, wie wir sie beobachten: Sie liefert nur Wahrscheinlichkeiten von Messergebnissen.
Heisenberg & Co. sahen darin kein Problem. Es sei eine „Illusion“, die Welt beschreiben zu wollen, „ohne von uns selbst zu sprechen“, sagte Heisenberg einmal. Für Einstein und Smolin hingegen ist das sehr wohl ein Problem, denn es war von jeher der Anspruch der Physik, die Welt „an sich“ zu beschreiben, nicht nur die beobachtete Welt. Also machte Einstein sich auf die Suche nach einer Theorie der Quanten, die diesem Anspruch genügt – und weil er scheiterte, sucht Smolin nun weiter.
Der Haken daran zeigt sich im Lauf seines Buchs. Alle seine Vorschläge, die unter Namen wie „Führungswellentheorie“, „Dekohärenz“ und „Viele-Welten-Deutung“ laufen, haben Schwächen. Auch wenn sie das Problem des Realismus beseitigen – sie werfen dafür andere Probleme auf. Doch obwohl Smolin weit davon entfernt ist, Einstein „zu Ende zu denken“, lohnt die Lektüre seines Buchs. Wissenschaftlicher Fortschritt lebt von kritischem Geist, und einen klügeren Kritiker der Quantenmechanik wird man derzeit schwerlich finden. Tobias Hürter
Lee Smolin
Quantenwelt
Deutsche Verlags-Anstalt
400 S., € 25,–
ISBN 978–3–421–04686–4