Überraschung: Es gibt weder ein Inhaltsverzeichnis noch Überschriften über den Kapiteln. Es ist also eine Expedition ins Unbekannte. Doch sie lohnt sich: Seite für Seite unterhält die Reise in das Reich der Botanik mit kurzweiligen Episoden aus dem Leben eines Pflanzensüchtigen.
Reiseleiter ist Marc Jeanson, Direktor des größten Herbariums der Welt am Museum für Naturgeschichte in Paris. Ihm assistiert die Journalistin Charlotte Fauve. Die beiden führen auf den Spuren berühmter Botaniker und namenloser Forscher rund um die Welt. Dass die meisten Kapitel nur zwei oder drei Seiten lang sind, verführt dazu, immer noch eines mehr zu lesen – etwa über Jeansons Anfälle von „Plantomanie“ (der Sucht, etwas pflanzen zu wollen), über den Dschungel in seinem Kopf oder warum ihn eine winzige Blattrosette, die sich aus dem Straßenpflaster zwängt, genauso fasziniert wie eine Orchidee im Wipfel eines Tropenbaums.
Natürlich geht es um Wissenschaft, um Systematik und Evolution, aber es bleibt stets lebendig. Da mutiert in der bildhaften Sprache der Autoren die mächtige alte Zeder zu einem „hölzernen Blauwal“, und die Duftnoten einer Blume erinnern an „Ananas, Auster, Mäusepipi“. Man glaubt beim Lesen, die Blüte riechen zu können.
Mehr als eine Zugabe sind die wunderbar nostalgischen Illustrationen. Sie stehen auf sonst leeren Seiten. Es lockt die Idee, sie mit der Rasierklinge herauszutrennen, zu rahmen und an die Wand zu hängen. Jürgen Nakott
Charlotte Fauve, Marc Jeanson
DAS GEDÄCHTNIS DER WELT
Aufbau, 224 S., € 22,–
ISBN 978–3–351–03462–7