Der britische Arzt und Medizinjournalist Ben Goldacre erklärt nicht nur, warum Beipackzettel eher Verwirrung stiften als aufzuklären. Er holt auch zu einem Rundumschlag aus: Auf über 400 Seiten beschreibt er, wie klinische Studien geschönt werden, wie unerwünschte Studienergebnisse in Schubladen verschwinden, wie manche Nebenwirkungen zu spät oder gar nicht entdeckt werden – und dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Arzt Ihnen das neue Medikament nur aus dem Grund verschrieben hat, weil er vor Kurzem Besuch von einem Pharmareferenten hatte.
Doch Goldacre bietet keine reißerischen Schauergeschichten über das Versagen der Branche. Es geht ihm nicht darum, einzelne Konzerne an den Pranger zu stellen. Stattdessen arbeitet er mit Zahlen, Fakten und Beweisen – was die Schieflage der Branche aber umso deutlicher zeigt. Natürlich bekommt die Pharmaindustrie das meiste Fett weg, aber auch bei Behörden, Fachzeitschriften und Selbsthilfegruppen liegt offenbar einiges im Argen. Letztlich geht es um Interessenkonflikte. Wie unvoreingenommen ist ein Arzt, der im Auftrag eines Pharmaunternehmens Vorträge hält? Kann eine Arzneimittelbehörde noch hart durchgreifen, wenn ihr Leiter früher in der Industrie tätig war? Und was ist mit dem Wohl der Patienten?
Goldacre macht viele Verbesserungsvorschläge, wobei er vor allem Transparenz fordert. Sein erstes 2011 erschienenes Buch „Die Wissenschaftslüge” über die pseudowissenschaftlichen Machenschaften der Kosmetik-, Pharma- und Naturheilmittel-Industrie hat einen größeren Unterhaltungswert. Doch die „Pharma-Lüge” ist ohne Zweifel das wichtigere Buch.
Franziska Konitzer