Schmerzen sind lebenswichtig. Wer auf eine heiße Herdplatte fasst oder mit dem Fuß gegen einen Stein stößt, schreckt zurück und meidet fortan die Gefahr. Menschen, die keine Schmerzen fühlen, können sich nicht vor körperlichen Gefahren schützen. Dennoch gehen wir jeglichem Schmerz möglichst aus dem Weg. Bereitwillig vertrauen wir der Pharmaindustrie, wenn sie ein Leben ohne Leiden verspricht: Ein paar Pillen oder eine Spritze – und alles wird gut. Doch was bei akuten Schmerzen hilft, führt bei chronischen Schmerzen oft in eine Sackgasse. Denn die Medikamente haben Nebenwirkungen, können süchtig machen und führen bei längerer Einnahme oft selbst zu Schmerzen. Und wenn diese chronisch werden, bietet die Medizin keinen Ausweg mehr.
Der Arzt und Wissenschaftsjournalist Harro Albrecht macht die naturwissenschaftlich materialistische Sicht auf unseren Körper für diese Fehlentwicklung verantwortlich. Während in vielen Kulturen Schmerz einfach zum Leben gehört, tun wir alles, um uns nicht damit beschäftigen zu müssen. Das Credo lautet: Jeder hat das Recht auf ein schmerzfreies Leben – und die Medizin hat die Aufgabe, dies zu gewährleisten. Schmerz ist aber, betont Albrecht, kein rein neurobiologisches Phänomen, das sich mit den Methoden der Naturwissenschaft vollständig erklären lässt. Wer Schmerzen verstehen will, muss auch ihre psychologische und soziale Seite kennen. Doch die Bedeutung der Gemeinschaft, die auf den Schmerz des Einzelnen reagiert, ist heute stark in den Hintergrund getreten, beklagt Albrecht. Er fordert „Geselligkeit statt Aspirin” und beschreibt ganzheitliche Schmerzkliniken, in denen dieser Gedanke erfolgreich umgesetzt wird. Neurologen, Orthopäden, Psychologen und Physiotherapeuten arbeiten dort zusammen. Albrecht sieht darin einen wegweisenden Ansatz, aber er betont: Die Medizin alleine kann das Problem nicht lösen.