Man könnte in Gelächter ausbrechen – wäre die Sache nicht so ernst. Da wollen heute so viele in Europa und anderswo Mauern oder Stacheldrahtzäune hochziehen, um sich vor dem Zustrom von Fremden zu schützen. Da fürchten so viele Europäer nicht nur um ihren Wohlstand, sondern auch um die „Reinheit“ ihrer Gene.
Reinheit? Wie paradox! Zeigt doch das Erbgut der Europäer, dass sie zu mindestens 70 Prozent die Nachkommen von massiven Einwanderungswellen sind – vor allem aus Anatolien vor 8000 Jahren und aus der Schwarzmeerregion vor 5000 Jahren. „Wir alle haben einen Migrationshintergrund“, unterstreichen die Autoren dieses wichtigen neuen Buches.
Im Zentrum stehen fundamentale Forschungsergebnisse der Archäogenetik. Johannes Krause, Direktor des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte in Jena, ist einer der weltweit führenden Wissenschaftler auf diesem noch jungen Gebiet. Den Berliner Journalisten Thomas Trappe treibt schon länger die Migrationsdebatte um. „Die Idee zu diesem Buch entstand in den Nachwehen des ,Flüchtlingssommers‘ 2015“, schreiben die Autoren.
Anhand der DNA-Reste in jahrtausendealten menschlichen Skeletten haben Archäogenetiker unsere Besiedlungsgeschichte nachvollzogen. Zwei Mal hat sich die genetische Landkarte der Europäer radikal verändert. Zum einen, als jungsteinzeitliche Bauern auf der Suche nach Ackerland über Balkan und Donautal einwanderten und die nomadisierenden altsteinzeitlichen Jäger und Sammler verdrängten. Und zum anderen, als frühbronzezeitliche Hirten aus dem Osten ihre „Steppen-Gene“ bis weit nach Westeuropa brachten – vermutlich war damals der Kontinent durch Pest-Epidemien weithin entvölkert.
Um es klar zu sagen: Dieses Buch ist kein naives Plädoyer für Willkommenskultur. Die Autoren betonen: „Fraglos brachten die (mit Immigrationen) einhergehenden Verwerfungen viel Leid mit sich.“ Aber auch Innovationen, technische wie kulturelle. Die sich seit Jahrtausenden formierende globale Gesellschaft, sind Krause und Trappe überzeugt, ist auch in Zukunft der Schlüssel zum Fortschritt.
Johannes Krause mit Thomas Trappe
Die Reise unserer Gene
Propyläen, 288 S., € 22,00, ISBN 978–3–549–10002–8
E-Book für € 19,99, ISBN 978–3–843–72032–8