In den USA ist Fukuyama eine Art intellektueller Showstar – und sein neues Buch steht auch hierzulande auf den Bestseller-Listen. Der Wirtschaftswissenschaftler stellt sich den gleichen Fragen wie schon etliche Autoren vor ihm: Bedrohen vorgeburtliches Screening, Gentherapie und das Klonen von Individuen unsere Gesellschaft? Wer soll wann und wie über den Einsatz dieser Techniken entscheiden?
An Bedrohungsszenarien ist in diesem Buch kein Mangel. Fukuyama sieht durch die moderne Biomedizin die Existenz liberaler westlicher Demokratien im Kern bedroht. Denn erstmals in der Geschichte lasse sich mit ihrer Hilfe die menschliche Natur an sich verändern. Und schon bald spalte sich die Gesellschaft möglicherweise in eine neue “aristokratische Oberschicht”, die es sich finanziell leisten kann, ihren Nachwuchs gentechnisch zu optimieren, und den Rest, dem dies verwehrt bleibt. Auch die Alternative hält Fukuyama für möglich: Ein allumfassender “Wohlfahrtsstaat” könne – im Sinne des alten linken Konzepts von “Gerechtigkeit für alle” – die gentechnische Optimierung für jedermann leiten und lenken.
Solche Visionen sind nicht neu. Interessant macht Fukuyamas Buch aber sein Versuch, ausgerechnet die “menschliche Natur” als jene Barriere zu definieren, die Biotechnologie nicht antasten darf. Sie, die “Summe von Verhaltensformen und Eigenschaften, die für die menschliche Gattung typisch sind”, müsse auch in Zukunft erhalten bleiben. Damit versucht er einen Mittelweg zwischen dem moralischen Rigorismus religiös motivierter Überzeugtheit von der unantastbaren Würde des Menschen und dem anderen Extrem, einer gerade unter Forschern verbreiteten utilitaristischen Ansicht, dass schon alles in Ordnung sei, so lange Biomedizin für das “Nützliche”, sprich das medizinisch Sinnvolle, eingesetzt wird. Wenn moderne Biomedizin aber in Zukunft jeglichen Schmerz ausschaltet und alles Leiden minimiert, droht auch der Verlust von entscheidenden menschlichen Tugenden wie Mitempfinden, Mut und Solidarität, ist Fukuyama überzeugt. Sie seien ohne solche Übel eben nicht zu haben.
Das zu verhindern, hält Fukuyama für die Sache des Staates. Was genau der tun soll, weiß Fukuyama allerdings auch nicht recht. Und jede Wette: Im Zweifel werden sich sowohl Befürworter als auch Gegner moderner Biomedizin auf die zu schützende “menschliche Natur” berufen.
Bernhard Epping, promovierter Biologe und Wissenschaftsjournalist