Zart besaiteten Gemütern ist dieses Buch nicht zu empfehlen. Denn die Anatomen haben ihre Erkenntnisse über den menschlichen Körper ja auf sehr handfeste Weise gewinnen müssen. Sie haben dafür im 19. Jahrhundert nicht nur Leichen von Friedhöfen stehlen lassen, manche sind auch vor Morden nicht zurückgeschreckt. In der Antike waren sogar Vivisektionen an Menschen üblich. William Harvey, der im 17. Jahrhundert die Funktion des Herzens und den Blutkreislauf an lebenden Tieren aufgeklärt hat, pflegte seinen Studenten zu sagen: Die Anatomie „bildet den Kopf, leitet die Hand und erzieht das Herz zu einer gewissen nötigen Unmenschlichkeit”. Unmenschlichkeit kann man dem Autor Hugh Aldersey-Williams sicher nicht vorwerfen. Aber eine professionelle Distanz besitzt er durchaus. So beschreibt er im Kapitel über Augen nicht nur, wie René Descartes einst die Welt buchstäblich durch ein Ochsenauge betrachtet hat, sondern auch, wie er selbst dieses Experiment wiederholte – mit Schweineaugen, Rinderaugen hatte sein Metzger nicht. Wer vor allem seine anatomischen Kenntnisse aufbessern will, der sollte lieber zu einem klassischen Anatomie-Atlas greifen. Doch wer Freude hat an skurrilen Anekdoten aus der Wissenschaftsgeschichte und am Abschweifen der Gedanken zu überraschenden Assoziationen, dem wird dieses Buch kurzweilige Stunden bescheren.
Markus Bohn