Botanik – das ist die Erinnerung an die Fortpflanzung der Korbblütler und an dahinwelkende Stunden im Biologieunterricht. Hansjörg Küster hingegen liest ganz andere Geschichten aus Blättern, Samen und Blüten. Der Ökologe plädiert dafür, die Stein-, Bronze- und Eisenzeit um eine vierte Periode zu ergänzen: die „Pflanzenzeit”.
Sie begann in jenem Moment, als ein Mensch die erste Pflanze kultivierte. Dieser Unbekannte setzte einiges in Bewegung. Küster stellt klar: Erst die planmäßige Bewässerung von Feldern machte Administration nötig, aus der wiederum Hochkulturen entstanden.
Diese Geschichte ist schon oft erzählt worden. Doch Hansjörg Küster strichelt einen Atlas zusammen, der zeigt, wo Kulturpflanzen ihre Wurzeln haben und wohin sie gewandert sind. Reis etwa verbreitete sich von Asien nach Westen. In seiner alten Heimat China ist Reis heute ein Importgetreide. Apropos China: Von dort stammt auch die Zitrone. Die Wassermelone kommt aus der Nähe der Kalahari-Wüste, die Tomate aus Amerika und die Gurke aus Fernost.
Küster düngt jede Pflanze mit Geschichten. Etwa der, dass sich Hartweizen zu Nudeln verarbeiten lässt, weil er so viel Eiweiß enthält, und US-Amerikaner sogar vom „Maccaroni Wheat” sprechen. Oder der, dass Maiskolben in ihrer Wildform nicht größer waren als ein kleiner Finger und erst der Mensch den Mais zur heutigen Dimen sion aufblähte.
Bei der Diskussion um Vor- und Nachteile gegenwärtiger Pflanzennutzung bricht die hohe Qualität des Textes gegen Ende ein. Informationen über die Gesundheitsrisiken von Gentechnik oder Klimaaspekte des globalen Handels mit Lebensmitteln fehlen. Alle anderen Informationen sät Küster spendabel aus, und der Leser fährt reiche Ernte ein. Die Fülle der Belege macht das Credo schließlich glaubhaft: Ohne Pflanzen keine Viehzucht, keine Medizin. Nicht einmal Texte wären möglich gewesen, hätten die alten Ägypter nicht die Papyruspflanze zur Herstellung von Schriftträgern genutzt. Tatsache ist: Ohne die lange Geschichte der Kulturpflanzen wäre selbst diese Rezension bestenfalls online zu lesen.
Dirk Husemann