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Muskeln im Modell

Virtueller Mensch

Muskeln im Modell
Ein Ziel der Forscher im Projekt DiHu ist es, Simulationen des Körpers zu visualisieren. Im Bild (von links): Leonardo Gizzi, Tobias Rau, Oliver Röhrle. (Foto: Wolfram Scheible für bdw)

Mit digitalen Modellen und Superrechnern simulieren Stuttgarter Forscher Funktion und Zusammenspiel von Muskelfasern und Nerven. So lernen sie, den menschlichen Körper besser zu verstehen

von RALF BUTSCHER

Eine Zahl ist für körperliche Bewegungen besonders wichtig: 656. Denn so viele verschiedene Muskeln sind im menschlichen Körper enthalten. Verteilt zwischen Stirn und großem Zeh sorgen sie dafür, dass Laufen, Sprechen, Lachen, und Greifen reibungslos funktionieren. Um die Bewegungen zu steuern, sendet das Gehirn über die Nervenbahnen elektrische Signale – sogenannte Aktionspotenziale – an die in den Muskeln verlaufenden Fasern: ein komplizierter Prozess, an dem physikalische, biologische und elektrochemische Vorgänge beteiligt sind. Ihn besser zu verstehen, haben sich Forscher aus unterschiedlichen Disziplinen zum Ziel gesetzt, die im Projekt „Towards a digital human“ (DiHu) der Baden-Württemberg Stiftung zusammenarbeiten.

Im Fokus: Bizeps, Trizeps und Co

„Im Fokus steht bei uns die Skelettmuskulatur, die wir am Rechner simulieren“, sagt Oliver Röhrle. Dazu gehören etwa die Oberarmmuskeln Bizeps und Trizeps sowie die Muskeln an Wade und Oberschenkel. „Wir wollen durch eine digitale Nachbildung ein tieferes Verständnis davon gewinnen, was in einem Skelettmuskel vor sich geht und wie er über die Nerven angesteuert wird“, erklärt der Wissenschaftler, der die Forschungsgruppe Kontinuumsbiomechanik und Mechanobiologie am Exzellenzcluster Simulation Technology (SimTech) der Universität Stuttgart leitet und das Projekt DiHu koordiniert. Das ist 2016 gestartet und läuft über drei Jahre.

Ein kompliziertes Geflecht von rund 650 Muskeln macht den menschlichen Körper beweglich. (Foto: shutterstock/Sebastian Kaulitzki)

Die Herausforderung, der sich die Wissenschaftler zu stellen haben, ist riesig. „Denn Muskeln enthalten viele einzelne Fasern, manche wie der am Oberschenkel bis zu 500.000“, sagt Röhrle. Und die müssten im Idealfall alle berücksichtigt werden. „Dazu kommt, dass auch die Muskeln nicht unabhängig wirken, sondern mit einander gekoppelt sind“, erklärt der Stuttgarter Forscher. Vor Beginn des Projekts war es gerade mal möglich, das Zusammenspiel von etwa 4000 Fasern in einem Muskel zu berechnen. Inzwischen konnten die Wissenschaftler die Zahl der Fasern in ihren Simulationen auf über 20.000 steigern. „Und bald werden wir die Aktivität von fünf oder sechs Muskeln gemeinsam abbilden können“, sagt Röhrle.

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Das Handwerkszeug, das die Forscher im Projektteam – darunter Ingenieure, Mathematiker, Informatiker und Visualisierungsspezialisten – dafür nutzen, sind ausgefeilte digitale Modelle und Computer mit gewaltiger Leistung. Die von den Forschern entwickelten Programme laufen auf Superrechnern am Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart (HLRS), die mit Tausenden vernetzter Rechenknoten arbeiten. Der schnellste Superrechner am HLRS hat eine Leistung von bis zu 7,4 Petaflops – Billiarden Operationen in jeder Sekunde. Um die Rechenkraft effizient nutzen zu können, müssen die Forscher ihre Modelle der Muskeln und Nerven erst auf ihre spezielle Funktionsweise zuschneiden.

Die bereits jetzt dabei erzielten Ergebnisse lassen sich sehen: „Um ein System aus mehreren Tausend Muskelfasern detailliert zu simulieren, brauchten wir früher ganze zwei Wochen – inzwischen genügt dafür ein Tag“, freut sich Röhrle.

Die Herausforderung: bis zu 500.000 Fasern in einem einzigen Muskel

Daten für die Berechnungen gewinnen die Wissenschaftler aus hochempfindlichen Messungen der Aktionspotenziale in den Muskeln. Dazu erstellen sie „Elektromyogramme“ (EMG): „das Pendant bei den Muskeln zum bekannten EKG, das Einblick in die elektrische und mechanische Aktivität des Herzens gibt“, erklärt Oliver Röhrle. Die Messungen des EMG dienen dazu, die mathematischen Modelle für die digitale Simulation zu überprüfen und anzupassen.

Die Resultate aus dem Forschungsprojekt werden es zum Beispiel erleichtern, Belastungen des Körpers durch bestimmte Haltungen und Bewegungen zu ermitteln – als Basis für eine ergonomisch günstige Gestaltung von Arbeitsplätzen. Auch bei Crashtests hoffen die Wissenschaftler auf weitere Fortschritte. Zwar sind die dort benutzten Modelle schon sehr präzise, doch es gibt noch weiße Flecken in der Simulation – etwa in der Phase unmittelbar vor einem Crash. „Wenn man einen Unfall auf sich zukommen sieht, ist die Muskulatur angespannt und der Aufprall im Airbag hat eine andere Wirkung“, sagt Röhrle.

Um die Simulation des menschlichen Muskelsystems weiter zu verfeinern, wollen er und seine Kollegen künftig noch mehr Einflussgrößen in ihrem digitalen Modell berücksichtigen: etwa den Einfluss der Haut, deren Empfinden bei Berührungen auf Nerven und Muskeln zurückwirkt – und das Gehirn. Denn dort entstehen die Signale für die motorische Reizleitung.

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