Die Baden-Württemberg Stiftung stemmt Projekte aus Forschung, Bildung, Gesellschaft und Kultur. Viele haben die Digitalisierung im Fokus. Forschungsbereichsleiterin Angela Kalous und Geschäftsführer Christoph Dahl erklären, was die Ziele sind
Das Gespräch führten RALF BUTSCHER und CHRISTOPH FASEL
Wie erleben Sie die Digitalisierung? Haben Sie schon einen Roboter, der den Kaffee bringt?
Christoph Dahl: Nein, das haben wir nicht. Und das wollen wir auch gar nicht. In unseren Programmen haben wir aber viel mit Robotern und Künstlicher Intelligenz zu tun – und das wird in Zukunft sicher noch mehr werden.
Wie wird die Digitalisierung das Leben verändern?
Christoph Dahl: Man kann die Entwicklung nicht vorhersagen. Aber klar ist, dass sie schnell verläuft. Ende Oktober hatten wir eine Veranstaltung, bei der junge Unternehmerinnen und Unternehmer erklärten, wie sie die Zukunft gestalten wollen. Ein wichtiges Thema wurde deutlich: die Ethik im Digitalen. Sie spielt etwa beim autonomen Fahren eine Rolle, wo das Verhalten des Fahrzeugs über Leben und Tod anderer Verkehrsteilnehmer entscheiden kann.
Was kann die Baden-Württemberg Stiftung da tun?
Christoph Dahl: Die digitale Ethik wird uns künftig stark beschäftigen. Was bedeutet der Einsatz von Algorithmen in der Rechtsprechung, beim Abschätzen von Schadensfällen? Was können Roboter in Pflegeheimen leisten? Wir sind auf dem Weg in einen neuen Raum – manche reden von „digitaler Migration“ – aber wir wissen nicht, wohin er führt. Wir wollen diese Entwicklung begleiten. Dabei ist für mich wichtig: Der Mensch muss immer über die Maschinen bestimmen und die letzte Entscheidung haben.
leitet seit September 2018 die Abteilung Forschung der Baden-Württemberg Stiftung. Zuvor war die promovierte Juristin sechs Jahre lang Kanzlerin der Universität Heidelberg. Sie bekleidete zudem verschiedene Positionen im Wissenschaftsministerium und im Staatsministerium Baden-Württemberg sowie an der Universität Karlsruhe.
Wo steht das Land bei der „digitalen Migration“?
Angela Kalous: Das Land gibt viel Geld für Digitalisierung und Künstliche Intelligenz aus. Diese Themen sind enorm wichtig für die Zukunft Baden-Württembergs. In manchen Bereichen haben wir sicher Aufholbedarf – bei anderen sind wir stark, etwa bei der Ethik. Es geht auch darum, negative Seiten der Digitalisierung zu erforschen und zu bewältigen. Wir wollen nicht nur die technische Entwicklung und das Wirtschaftswachstum stärken, sondern auch dafür sorgen, dass Baden-Württemberg lebenswert bleibt.
Christoph Dahl: Die Technikfolgenabschätzung, für die wir in Baden-Württemberg ein Institut haben, wurde schon als typisch deutsch belächelt. Aber die Angst vor den Folgen der Digitalisierung wie einem Arbeitsplatzverlust müssen ernst genommen werden. Künstliche Intelligenz bietet auch uns riesige Chancen, aber wir sollten nicht der Entwicklung in China oder im Silicon Valley blind nacheifern, sondern in der Forschung auch die Folgen berücksichtigen.
Woran denken Sie da konkret?
Christoph Dahl: Zum Beispiel an den Datenschutz – und an Fragen wie: Was darf eine Maschine? Wo sind die Grenzen? Es darf nicht sein, dass sich die Digitalisierung wuchernd entwickelt – ohne Regeln und gesetzlichen Rahmen. Dabei spielt das Thema Transparenz eine große Rolle.
Angela Kalous: Es kommt auch darauf an, junge Leute darauf vorzubereiten, was kommen wird. Experten sagen, dass 80 Prozent der Berufe, die die heutigen Kinder einmal ergreifen werden, noch gar nicht bekannt sind. Die Welt verändert sich rasant. Eine unserer Aufgaben ist es, junge Menschen zu bilden und zu informieren. Unsere neue mobile Bildungsinitiative expedition d eignet sich gut dafür.
“Die Entwicklung verläuft schnell. Uns ist wichtig, sie mit Programmen zu begleiten”
Was macht die Finanzierung von Projekten durch die Stiftung für Forscher im Land so attraktiv?
Angela Kalous: Je Programm gibt es vier bis fünf Millionen Euro, je Projekt etwa 300.000 bis 500.000 Euro. Aber was die Stiftung macht, ist für die Wissenschaftler hochinteressant. Die Forschungsthemen, die wir auswählen, sind relevant und interessant, weil sie immer hochaktuell sind. Unsere Programme sind zielorientiert und fokussiert, was immer wieder spannende Ergebnisse bringt. Zudem arbeiten wir sehr agil: Zwischen Ausschreibung und Bewilligung vergeht wenig Zeit. Wir sind schnell und unkompliziert, der Verwaltungsaufwand ist gering. Uns interessieren die Resultate der Forschung. Das wirkt anziehend.
Wie zeigen sich die Erfolge Ihres Engagements?
Angela Kalous: Es gelingt uns regelmäßig, hochrangige Wissenschaftler zu gewinnen. Das ist schon etwas Besonderes. Es gibt immer viel mehr Projektanträge, als wir bewilligen können. Zudem schaffen wir es, hervorragende Gutachter für die Bewertung der Anträge zu gewinnen, etwa Leibniz-Preisträger und renommierte Institutsleiter. Die loben übrigens ausdrücklich, dass wir riskante Forschung unterstützen. Wenn einmal eine Methode nicht funktioniert, ist das auch eine wertvolle Erkenntnis.
Welchen Nutzen zieht die Stiftung daraus?
Christoph Dahl: In der Regel müssen uns die Forscher die Ergebnisse ihrer Arbeit überlassen. Das ist eine sinnvolle Vorgehensweise, die sich auch gut eingespielt hat. Sie ist bei den Wissenschaftlern anerkannt und lohnt sich für uns.
Angela Kalous: Die Teilnahme an unseren Programmen lohnt sich auch für die Forscher. Erhebungen zeigen: Viele Forscher, die an unseren Projekten mitgewirkt haben, konnten im Anschluss in ihrem jeweiligen Forschungsfeld weitere Drittmittel einwerben.
ist seit 2010 Geschäftsführer der Baden-Württemberg Stiftung. Der gebürtige Reutlinger und Vater von fünf Kindern arbeitete nach dem Studium der Geschichte und Germanistik in Tübingen unter anderem als leitender Redakteur einer Tageszeitung und wechselte dann als Pressesprecher ins Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg. Von 1991 bis 2005 war Dahl Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, danach bis 2010 Sprecher der Landesregierung in Stuttgart.
Gibt es Beispiele für erfolgreiche Projekte?
Angela Kalous: Ein Beispiel sind Milchzucker, die in der Muttermilch enthalten sind. Sie sind für die Entwicklung von Kleinkindern wichtig, haben aber in Muttermilchersatzprodukten bisher gefehlt. Dank eines unserer Forschungsprojekte lassen sie sich nun synthetisch herstellen.
Christoph Dahl: Ein anderes Beispiel basiert auf einem Schwimmfarn, der dank bestimmter Strukturen eine Lufthülle unter Wasser festhalten kann. Das haben Wissenschaftler aus Karlsruhe erforscht und technisch nachgebildet. Nun werden Anstriche für Schiffe nach diesem Prinzip entwickelt. Sie verringern die Reibung und senken so den Kraftstoffverbrauch und die CO2-Emissionen.
Wofür steht die Baden-Württemberg Stiftung?
Christoph Dahl: Wir tragen mit unseren Programmen aktiv zur Stärkung der Wettbewerbsposition des Landes bei. Das ist einzigartig: Kein anderes Land hat eine Stiftung, die so breit aufgestellt ist und mit dem effektiven Einsatz von relativ geringen Mitteln so viel bewirkt. Wir errichten Modellstrukturen und leisten Pionierarbeit. Wir zeigen, was möglich ist. Und wenn etwas gut funktioniert, können es das Land oder andere Träger aufgreifen und unterstützen.
Hemmt die Niedrigzinspolitik ihr Engagement?
Christoph Dahl: Nein. Trotz Niedrigzinsphase hatten wir in den letzten Jahren keine Einbußen. Das hängt damit zusammen, dass wir einen beachtlichen Teil des Stiftungsvermögens in Immobilien investiert haben – in besten Stuttgarter Lagen. Die Gebäude werfen eine hohe Rendite ab. Zudem arbeiten wir mit erfolgreichen Investmentfonds.
Frau Kalous, Sie leiten seit September 2018 den Bereich Forschung. Was reizt Sie an der Aufgabe?
Angela Kalous: Die Stiftung ist ein kleines und sehr kompetentes Team, das viel hinbekommt. Sie ist wendig und innovativ. Im Spaß sage ich: Ich habe mir die Rosinen aus meinen früheren Tätigkeiten herausgepickt. Als Kanzlerin der Universität Heidelberg habe ich es genossen, exzellenten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu begegnen. Während meiner früheren Zeit als Marketingchefin des Landes habe ich gern mit kreativen Agenturen zusammengearbeitet. Beides erlebe ich jetzt auch in der Stiftung.
Herr Dahl, Sie sind seit 2010 Geschäftsführer. Was waren für Sie die Highlights während dieser Zeit?
Christoph Dahl: Als ehemaliger Regierungssprecher kam auch ich aus einem anderen Bereich. Ich denke, es ist mir gelungen, das zu erhalten, was die Stiftung auszeichnet: Sie ist überparteilich und neutral. Wir fahren mit unseren Programmen eine eigenständige Linie. Die Chance, hochinteressante Programme zu gestalten, bereichert mich. Besonders stark aber prägen mich Erfahrungen mit jungen Menschen. Wir haben viele Programme mit Jugendlichen: etwa das Baden-Württemberg-STIPENDIUM und mikro makro mint für junge Erfinderinnen und Erfinder sowie die Zukunftsakademie und Kulturakademie der Stiftung Kinderland. Der Kontakt mit der jungen Generation zeigt mir andere Sichtweisen und hält mich geistig jung.
“Es gelingt uns immer wieder, hochrangige Forscher für uns zu gewinnen”
Welche Ziele verfolgen Sie bei jungen Menschen?
Christoph Dahl: Es ist wichtig zu klären, was mit der digitalen Informationslawine geschieht, die uns überrollt. Dafür sind Leitlinien nötig, um unterscheiden zu können, was richtig oder falsch ist – und was Grundrechten wie der Menschenwürde widerspricht. Diese Kompetenz vermitteln wir. So wollen wir die Demokratie begreifbar machen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken.
Sie haben 2018 eine Kampagne auf Facebook gestartet. Worum ging es da?
Christoph Dahl: Hintergrund war ein Datenskandal. Um auf die Bedeutung des Datenschutzes hinzuweisen, haben wir unsere reguläre Kommunikation auf Facebook eingestellt und den Kanal genutzt, um über Datensicherheit im Netz zu informieren. Dazu haben wir Experten ins Boot geholt, die exklusive Beiträge für uns geschrieben, Interviews gegeben oder über Veranstaltungen berichtet haben.
Welche Resonanz erhielten Sie darauf?
Christoph Dahl: Bei Datenschützern rief die Kampagne Begeisterung hervor, aber auch in der Bevölkerung. Über 120.000 Nutzerinnen und Nutzer haben bis dato unsere Website zum Thema besucht. In den Printmedien hätte ich mir hingegen eine größere Resonanz erhofft.
Herzlichen Dank für das Gespräch.
Die Baden-Württemberg Stiftung finanziert zurzeit insgesamt mehr als 70 Programme – darunter 20 im Bereich Forschung, 19 zur Bildung und 32 bei Gesellschaft und Kultur.
Aktuelle Forschungsschwerpunkte:
- Neue Technologien
- Lebenswissenschaften
- Umwelt und Nachhaltigkeit
- Internationale Spitzenforschung
- MINT-Nachwuchs
Das Budget eines Forschungsprogramms beträgt vier bis fünf Millionen Euro. Forschungsprojekte laufen meist zwei bis drei Jahre. Die Entscheidung über die Finanzierung eines Programms fällt nach Exzellenz und auf Basis von Evaluierungen durch externe Gutachter. Projekte starten mit einem „Kick-off“, danach sind Meilensteine und Publikationen das Ziel.
Typischer Verlauf eines Programms:
(1) Aufsichtsratssitzung, Ausschreibung
(2) Einreichung der Anträge
(3) Evaluation durch Gutachter
(4) Kick-off
(5) Zwischenbegutachtung
(6) Abschlussbegutachtung
Beispiele aktueller Forschungsprojekte:
- Neue Technologien: 3D-Sensorsysteme, High-Performance-Computing, 3D-Druck, Neurorobotik, Industrie 4.0
- Lebenswissenschaften: Epigenetik, Wirkstoffforschung, nicht-kodierende RNAs
- Umwelt und Nachhaltigkeit: Rohstoff- und Materialeffizienz in der Produktion, Nachhaltiges Bauen
- MINT-Nachwuchs: Coaching4Future, Artur Fischer Erfinderpreis Baden-Württemberg
Mehr Infos zur Stiftung und ihren Programmen unter: www.bwstiftung.de