Herr Professor Heuer, im Juli 2012 haben Sie am Forschungszentrum CERN eine Entdeckung bekannt gegeben – und sie trotz sichtlicher Begeisterung vorsichtig beschrieben. Sie sprachen von einem neuen Elementarteilchen, das konsistent sei mit einem Higgs-Boson. Sind Sie weiterhin so vorsichtig?
Ja, ich habe vor, das auch weiterhin in diesem Sinne zu formulieren. Das gefundene Teilchen ist ein Higgs-Boson, das kann man sagen. Aber welches? Es ist noch nicht sicher, ob es nur das Higgs-Boson ist, das zur Ergänzung des Standardmodells der Elementarteilchen gesucht wird. Im Standardmodell fehlt vieles. Die Dunkle Materie erklärt es nicht. Die Theorie der Supersymmetrie aber erfasst die Dunkle Materie, und diese Theorie sagt mehrere Higgs-Bosonen voraus, die sich ähnlich verhalten könnten wie das gefundene Teilchen.
Was wird man am CERN tun, um den Fund weiter abzusichern?
Um zu klären, welches Higgs-Teilchen wir vor uns haben, müssen wir seine Eigenschaften sehr genau untersuchen. Wie nah wir dem Ziel sind, kann man nicht sagen, aber je mehr wir über das Teilchen wissen, desto näher kommen wir seiner Natur.
Wie wird es mit dem Teilchenbeschleuniger LHC weitergehen?
Der Large Hadron Collider, der LHC, sucht nach supersymmetrischen Teilchen, denn die Theorie der Supersymmetrie wäre eine schöne Erklärung für die Dunkle Materie. Außerdem versuchen wir am LHC herauszufinden, worin der Unterschied zwischen Materie und Antimaterie besteht. Wir leben in einem Universum, das im Wesentlichen aus Materie besteht. Materie und Antimaterie werden aber zu gleichen Teilen aus Energie erzeugt – und zerstrahlen zu Energie, wenn sie aufeinander treffen. Wenn sie sich nicht unterschiedlich verhalten würden, wäre alle Materie nach dem Urknall zerstrahlt, und das Weltall bestünde nur aus Energie. Für die weitere Zukunft des LHC bis Mitte der 2030er-Jahre haben wir einen Langzeitplan aufgestellt. Mitte der 2020er-Jahre soll der Teilchenstrahl noch einmal viel leuchtstärker werden, damit wesentlich mehr Kollisionen stattfinden. Das ist bereits genehmigt und in Angriff genommen. Dazu werden starke, supraleitende Magnete aus neuen Materialien gebraucht, die es heute noch nicht gibt.
Inzwischen liest man von Plänen in China für einen Ringbeschleuniger, der mehr als doppelt so groß werden soll wie der LHC. Wagen Sie eine Prognose, was davon realisierbar ist?
Eine Prognose ist sehr schwer. Vieles hängt vom Preisschild ab. Meiner Ansicht nach lässt sich eine Nachfolgeanlage nur in internationaler Kooperation verwirklichen. China hat vermutlich das Geld, eine Anlage allein zu bauen. Einen geeigneten Tunnel hinzustellen, ist für China keine Herausforderung. Aber bei allem Respekt: Dass die technologische Expertise eines einzigen Landes, auch die Chinas, für ein solches Projekt ausreicht, kann ich mir nicht vorstellen. Übrigens steht China mit diesen Plänen nicht alleine. Auch Kollegen am CERN denken über ein solches Projekt nach.
Das Interview führte Rainer Klüting.
Anmeldung zur Leser-Uni:
Am Dienstag, den 14. März 2017 um 18 Uhr 30 laden wir Sie – gemeinsam mit der Stuttgarter Zeitung – zu einer Leser-Uni an der Universität Hohenheim ein. Prof. Sabina Pauen spricht über “Lernen ist doch Baby-einfach! Das Weltwissen von Säuglingen” und Prof. Rolf-Dieter Heuers Thema lautet: “Teilchenphysik am Cern – vom Higgs-Teilchen zum Dunklen Universum?”. Es ist eine begrenzte Zahl an Plätzen reserviert. Wir bestätigen die Anmeldung in der Reihenfolge des Eingangs. Mit der Bestätigung erhalten Sie auch eine Anfahrtbeschreibung. Im Anschluss an die beiden Vorträge gibt es bei einem kleinen Empfang die Gelegenheit zum Gespräch mit den Referenten und Redakteuren.
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