Im 19. Jahrhundert sah alles schön aus, was die Physik angeht. Man war guter Hoffnung, bald auch das atomare Geschehen im gewohnten Rahmen verstehen zu können. Doch dann kam das Quantum, kamen die Quantensprünge, und mit ihnen Unstetigkeiten im physikalischen Geschehen, die das solide scheinende Gebäude der Physik einstürzen ließen – was allerdings nicht sofort bemerkt wurde. Es dauerte schon eine Weile, bis Albert Einstein 1905 erklärte, dass Licht nicht einfach als Welle zu verstehen ist, sondern auch als Teilchen in Erscheinung tritt. 20 Jahre später zeigte sich, dass auch Elektronen, die man immer als Teilchen verstanden hatte, Eigenschaften von Wellen aufweisen. Zu dieser physikalischen Dopplung gesellte sich eine mathematische Zweiheit hinzu – als 1925 und 1926 zwei völlig verschiedene Theorien der Atome vorgestellt wurden: das Heisenberg-Bild und das Schrödinger-Bild. Heisenbergs Theorie, die auch Matrixmechanik heißt, betont den Teilchencharakter der atomaren Gebilde, und Schrödingers Theorie ist eine Wellengleichung.
Wenn das auch sehr technisch klingen mag, so steckt dahinter doch ein philosophisches Problem, das sich durch eine Beobachtung erklären lässt: Dinge im Kleinen können nicht objektiv als Welle oder Teilchen bestimmt werden. Warum? Weil ein Teilchen einen Ort hat und eine Welle nicht. Eine Welle dehnt sich aus. Die Physiker jener Zeit bemerkten dieses Dilemma und suchten nach einer Deutung des atomaren Geschehens. Deshalb trafen sich Werner Heisenberg und Niels Bohr im Frühjahr 1927 in Kopenhagen. Sie diskutierten bis zur Erschöpfung, wie man der ungewohnten Wirklichkeit der Atome näherkommen konnte. Wenn uns die historischen Berichte nicht täuschen, haben sich die beiden großen Männer der Physik nicht einigen können. Sondern sind sich immer mehr uneins geworden.
Per Physik und Philosophie
Heisenberg versuchte die Atome über die Theorie der Unbestimmtheit zu verstehen. Die besagt, dass zum Beispiel Elektronen keinen bestimmten Ort und keine bestimmte Geschwindigkeit haben, solange diese Größen nicht gemessen werden. Ein Elektron ist ein unbestimmtes Objekt, bis ein Subjekt es durch seine Messung in einen bestimmten Zustand befördert. Heisenberg konnte diesen Gedanken in eine mathematische Form bringen, die oftmals als Unschärferelation bezeichnet wird und der zufolge es ausgeschlossen ist, zugleich den Ort und die Geschwindigkeit eines Elektrons präzise zu ermitteln. Wie Experimente zeigten, ist das auch tatsächlich der Fall.
Bohr ging ohne Mathematik und strikt philosophisch vor. Er entwickelte eine Theorie, die heute Komplementarität heißt und besagt, dass man sich nur dann ein vollständiges Bild von einem Elektron oder einem anderen Gebilde atomarer Größenordnung machen kann, wenn man auf zwei Konzepte zurückgreift, die sich widersprechen und zugleich zusammengehören – so wie Welle und Teilchen. Bohr meinte, die Menschen sollten sich an diese Spannung gewöhnen und nicht versuchen, das gegensätzliche Duo in eine Synthese zu bringen.
Komplementarität und Unbestimmtheit – diese beiden großen Gedanken sind 1927 in Kopenhagen entwickelt worden. In philosophischen Werken werden sie als “Kopenhagener Deutung der Quantenphysik” beschrieben. Bohr und Heisenberg haben dazu nie einen gemeinsamen Text herausgegeben, in dem die beiden Urheber der Kopenhagener Deutung ihre kombinierte Sicht der Dinge vorstellen. Das Verständnis der Atome bleibt offen. Physiker suchen daher bis heute eine Antwort – in der Physik und in der Philosophie.