Vor zehn Jahren gelang Medizinern das scheinbar Unmögliche: Sie heilten einen Patienten mit HIV. Was bislang ein spektakulärer Einzelfall war, könnte nun ein zweites Mal geglückt sein. Britische Ärzte berichten von einem an Krebs erkrankten HIV-Patienten, den sie nach demselben Prinzip wie damals mit Stammzellen behandelt haben. Er zeigt seit 18 Monaten keine Symptome der Infektion mehr – obwohl er sämtliche HIV-Medikamente abgesetzt hat. Von einer Heilung will das Team trotzdem noch nicht sprechen.
Das Aids-Virus grassiert noch immer. Rund 37 Millionen Menschen sind weltweit mit HIV infiziert, allein 90.000 davon in Deutschland. Für all diese Patienten gibt es inzwischen zwar wirksame Therapien, die die Infektion in Schach halten. Doch ein Heilmittel existiert nicht – eigentlich. Ein einziges Mal aber ist Medizinern die Heilung von HIV doch geglückt: Vor zehn Jahren befreiten sie den als “Berliner Patient” bekannt gewordenen Timothy Ray Brown von seinem Leiden. Er bekam damals wegen einer Leukämie-Erkrankung Blutstammzellen transplantiert, die nicht nur den Krebs bekämpfen sollten. Denn seine Ärzte nutzten Knochenmark eines Spenders, der eine Mutation namens Δ32 im Gen für den CCR5-Rezeptor trug. Das Besondere: Unter anderem diesen Rezeptor auf der Oberfläche von Immunzellen nutzt das HI-Virus als Eintrittspforte zur Infiltrierung des Immunsystems. Durch die Mutation bleibt dem Erreger dieser Weg verwehrt. Menschen, die diese Genveränderung auf beiden Allelen tragen, sind deshalb weitestgehend resistent gegen eine HIV-Infektion.
Keine Symptome mehr
Brown gilt seit zwei Stammzelltransplantationen als geheilt – und war damit bisher ein spektakulärer Einzelfall. Nun aber berichten britische Mediziner von einem zweiten Erfolg: Sie haben möglicherweise einen weiteren HIV-Betroffenen geheilt. Ravindra Gupta von den University College London Hospitals und seine Kollegen behandelten einen Patienten, der am Hodgin-Lymphom erkrankt war – einem Lymphdrüsenkrebs. Um dieses Leiden zu therapieren, versuchte es das Team ebenfalls mit einer Knochenmarktransplantation. Wie beim “Berliner Patienten” wählten sie dafür einen Spender aus, der zwei Kopien der Δ32-Mutation in seinem Erbgut trug. Vor der eigentlichen Transplantation sorgten sie mithilfe von Medikamenten dafür, dass die von Krebs befallenen Knochenmarkzellen des Empfängers abstarben. Anders als bei Brown musste sich der Patient vor dem Eingriff keiner Bestrahlung des gesamten Körpers unterziehen.
Würden die neuen Blutstammzellen den Krebs verbannen und gleichzeitig der HIV-Infektion den Garaus machen können? Es zeigte sich: Der Patient, der anonym bleiben möchte, vertrug die Transplantation insgesamt gut, auch wenn es zunächst einige Nebenwirkungen gab. Nach dem Eingriff wurde er weiter mit antiretroviralen Medikamenten gegen HIV behandelt. Nach 16 Monaten aber wagten die Mediziner den entscheidenden Schritt: Sie setzten die Medikamente, die die Infektion unterdrücken, ab. Trotz allem zeigte der Patient später keine Symptome einer HIV-Infektion. Bis heute – 18 Monate später – scheint der Transplantierte gesund zu sein. Seine weißen Blutzellen tragen nun jene Mutation, die CCR5-abhängige HI-Erreger am Eindringen hindert, wie das Team berichtet.
Als Standardtherapie zu riskant
Doch ist der Patient damit wirklich geheilt? In dieser Hinsicht geben sich Gupta und seine Kollegen vorsichtig: “Wir sprechen lieber von einer Langzeit-Remission, auch, weil wir uns bisher nur das Blut und kein anderes Gewebe angeschaut haben”, sagt Gupta. “Nach zwei Jahren können wir vielleicht schon eher über ‘Heilung’ sprechen.” Tatsächlich sind nach Brown noch ein paar weitere HIV-infizierte Krebspatienten mit Stammzellen behandelt worden – bei ihnen war die Therapie jedoch nicht von langfristigem Erfolg. Dass mit dem “Londoner Patienten” nun erneut eine Heilung zumindest möglich scheint, ist für die HIV-Forschung ein großer Schritt, wie der nicht an der Studie beteiligte Gerd Fätkenheuer von der Uniklinik Köln kommentiert: “Der Bericht zeigt, dass die Heilung des Berliner Patienten kein singuläres Ereignis war, sondern prinzipiell wiederholbar ist.”
Doch selbst wenn sich herausstellt, dass der Patient auch in den kommenden Jahren und Monaten keine Symptome einer HIV-Infektion zeigt: Als Standardtherapie eignet sich die Stammzelltransplantation wohl trotzdem nicht. “Es handelt sich auch bei der weniger aggressiven Vorbehandlung immer noch um einen massiven Eingriff mit langem Krankenhausaufenthalt und signifikantem Risiko, der angesichts einer in der Regel gut verträglichen und langfristig wirksamen antiviralen Therapie nicht vertretbar wäre, wenn nicht aus anderen medizinischen Gründen indiziert”, betont Hans-Georg Kräusslich vom Universitätsklinikum Heidelberg. Dieser Meinung ist auch Fätkenheuer: “Mit der Stammzelltransplantation ist der Schlüssel zur HIV-Heilung noch nicht entdeckt.”
Quelle: Ravindra Gupta (University College London Hospitals) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-019-1027-4