Wie bei vielen anderen Viren sind die Proteine auf der Oberfläche von Sars-CoV-2 nicht nackt – sie tragen angelagerte Zuckermoleküle, die das Coronavirus gegenüber dem Immunsystem tarnen. Forscher haben nun zwei Moleküle identifiziert, die sich an diese Zuckerhülle um das virale Spike-Protein binden. Dadurch behindern sie das Virus beim Eindringen in menschliche Zellen und können so die Infektion verhindern. Diese Wirkstoffe bieten damit eine neue Möglichkeit, die Corona-Infektion zu bekämpfen, wie das Team erklärt. Positiv sei auch, dass die Andockstellen der beiden zuckerbindenden Moleküle in einem nicht von Mutationen betroffenen Teil des viralen Proteins liegen. Die Mittel wirken daher auch gegen Varianten.
Bisher gibt es kaum wirksame Mittel, um das Coronavirus Sars-CoV-2 nach erfolgter Infektion zu bekämpfen. Ein Ansatzpunkt, den unter anderem experimentelle Antikörper-Präparate nutzen, ist dabei das Spike-Protein des Virus. Dieses vorstehende, stachelartige Protein trägt die Bindungsstelle, mit der das Coronavirus an unsere Zellen andockt und in sie eindringt. Gelingt es, diese Bindungsstelle zu blockieren, könnte dies den Zelleintritt verhindern und das Virus damit neutralisieren. Das Problem jedoch: Wie viele Viren tarnt auch Sars-CoV-2 sein Spike-Protein mit einer Art Tarnüberzug aus Zuckermolekülen. Diese Zucker, sogenannte Glykane, lagern sich an die charakteristischen Enden des Proteins an und verbergen diese dadurch vor dem Immunsystem. Weil diese Zuckerüberzüge zudem denen von körpereigenen Proteinen ähneln, wird die Erkennung des Virus als fremd zusätzlich erschwert.
Zuckerbindende Moleküle als Abwehrhelfer
An dieser Zuckertarnung des Coronavirus haben nun David Hoffmann vom Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (IMBA) in Wien und seinen Kollegen angesetzt. Sie haben nach Molekülen gesucht, die gezielt an den Zuckerstrukturen von Sars-CoV-2 andocken und dadurch das Virus behindern können. Als aussichtsreichste Kandidaten testeten die Forscher mehr als 140 verschiedene Lektine – zuckerbindende Proteine, die bei vielen Säugetieren in verschiedenster Form vorkommen. “Wir dachten intuitiv, dass die Lektine uns helfen könnten, neue Interaktionspartner des Spike-Proteins zu finden”, sagt Hoffmann. Mit biophysikalischen Hightech-Methoden testete das Team, welche Lektine an die Zuckerstrukturen des viralen Spike-Proteins binden und wie stark. Zwei Moleküle, die Lektine Clec4g und CD209c, erwiesen sich dabei als geeignete Kandidaten.
Nähere Tests ergaben, dass die beiden Lektine an die sogenannte N-Glykanstelle N343 des Spike-Proteins binden. Diese spezifische Struktur ist für die Stabilität des gesamten Spike-Proteins entscheidend und spielt eine wichtige Rolle für die erfolgreiche Infektion, wie frühere Studien gezeigt haben. Demnach führen Mutationen an dieser Struktur dazu, dass das Coronavirus nicht mehr infektiös ist. Unter anderem deswegen ist dieser Teil des Glykoproteins bei allen Virenvarianten unverändert. “Das bedeutet, dass unsere Lektine an eine Glykanstelle binden, die für die Funktion von Spike essenziell ist – es ist daher sehr unwahrscheinlich, dass jemals eine Mutante entstehen könnte, der dieses Glykan fehlt”, erklärt Co-Erstautor Stefan Mereiter vom IMBA.
Infektion blockiert
Um herauszufinden, ob die beiden Lektine den Befall von menschlichen Zellen durch das Coronavirus verhindern können, führten die Wissenschaftler Tests mit menschlichen Lungenzellen durch. Diese ergaben, dass beide Lektine sich so an das Spike-Protein anlagerten, dass dieses nicht mehr an der Zelloberfläche andocken konnte. Selbst in Gegenwart des ACE2-Rezeptors auf der Zelloberfläche behielten die Lektine ihre blockierende Bindung bei. Als Folge verringerte sich der Befall der Lungenzellen signifikant, wie das Team berichtet. Nach Ansicht Hoffmanns und seiner Kollegen belegen diese Ergebnisse, dass die Zuckerhülle von Sars-CoV-2 eine vielversprechende Ansatzstelle für Gegenmittel sein könnte – und dass die Lektine gute Kandidaten für eine solche therapeutische Intervention darstellen könnten.
“Wir haben nun Werkzeuge in der Hand, die die Schutzschicht des Virus binden und damit das Virus am Eindringen in Zellen hindern können”, fasst Mereiter zusammen. “Dieser Mechanismus könnte in der Tat die Achillesferse sein, auf deren Fund die Wissenschaft schon lange hofft.”
Quelle: David Hoffmann (IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien) et al., EMBO Journal, doi: 10.15252/embj.2021108375