Mit dem Alter reichern sich in unserem Körper immer mehr ausgediente, ruhiggestellte Zellen an. Forscher haben nun herausgefunden, dass die Anhäufung solcher sogenannten seneszenten Zellen auch bei neurodegenerativen Krankheiten wie Alzheimer eine Rolle spielt. Entfernten sie die alten Zellen aus dem Gehirn kranker Mäuse, lagerten sich an deren Neuronen weniger fehlerhafte Proteine an. Zudem schien die Behandlung Hirnschwund und Gedächtnisverlust entgegenzuwirken. Ob diese zelluläre Verjüngungskur auch beim Menschen funktionieren könnte, ist unklar.
Mit zunehmendem Alter lässt die Leistung unserer Zellen merklich nach. Je häufiger sie sich teilen, desto öfter kommt es zu Fehlern und die zelleigenen Reparaturmechanismen beginnen zu versagen. Als Gegenmittel hat der Körper die Seneszenz entwickelt: Er legt altersschwache Zellen still und verhindert, dass sie sich weiter teilen. Dieser Mechanismus ist einerseits ein wichtiger Schutz gegen Krebs. Andererseits könnte er aber die Entstehung altersbedingter Erkrankungen erst fördern. Der Grund: Während das Immunsystem ruhiggestellte Zellen anfangs noch effektiv entsorgt, gelingt ihm das im Alter immer weniger gut. Als Folge reichern sich seneszente Zellen im Körper an – und genau das könnte Diabetes, Nierenschwäche und andere Leiden fördern und somit schlussendlich unser Leben verkürzen, wie Studien nahelegen. Tatsächlich haben Wissenschaftler kürzlich gezeigt, dass sich das Leben von Mäusen um ein Drittel verlängern lässt, wenn ihre seneszenten Zellen entfernt werden. Dies gelingt bei genmodifizierten Tieren durch die Gabe eines bestimmten Wirkstoffs.
Erinnerungsvermögen bleibt
Die Anreicherung ruhiggestellter Zellen scheint demnach insgesamt lebensverkürzend zu wirken – doch welche Rolle spielen solche Zellen für neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer? Dieser bisher noch völlig unklaren Frage haben sich nun Tyler Bussian von der Mayo Clinic in Rochester und seine Kollegen gewidmet. Für ihre Studie untersuchten sie an Alzheimer erkrankte Mäuse, bei denen sich chemisch veränderte, nicht mehr funktionelle Tau-Proteine in Form von Fasern an den Nervenzellen ablagern – diese Ablagerungen sind auch beim Menschen eines der typischen Alzheimersymptome im Gehirn. Die Forscher beobachteten, dass sich bei den Nagern unter anderem im Hippocampus seneszente Mikroglia und Astrozyten ansammelten. Entfernten sie diese Hirnzellen, hatte dies einen deutlichen Effekt: Das Gehirn schrumpfte anders als bei unbehandelten Tieren nicht und die Mäuse behielten ihr Erinnerungsvermögen.
Die Entfernung der alten Zellen wirkte sich überraschenderweise zudem direkt auf die Tau-Ablagerungen aus. So wiesen diese Proteine dadurch seltener abnormale Veränderungen auf und es häuften sich weniger Tau-Proteine an den Neuronen an. Diese Beobachtung deutet auf ein komplexes Wechselspiel hin, wie die nicht an der Untersuchung beteiligten Jay Penney und Li-Huei Tsai vom Massachusetts Institute of Technology kommentieren: Zum einen scheint die Expression fehlerhafter Tau-Proteine die Seneszenz von Mikrogliazellen und Astrozyten auslösen zu können. Zum anderen scheinen diese seneszenten Zellen wiederum die Fähigkeit der Neuronen zu beeinflussen, chemische Veränderungen und die Ablagerung von Tau-Proteinen zu regulieren.
Potenzieller Therapieansatz
Was bedeuten diese Erkenntnisse? Erstens hat Bussians Team bewiesen, dass seneszente Zellen auch bei Erkrankungen wie Alzheimer eine Rolle spielen. “Wir wussten vorher nicht, ob sich die Zellen überhaupt in irgendeiner Art und Weise auf die Pathologie von Krankheiten des Gehirns auswirken”, konstatiert Bussians Kollege Darren Baker. Zweitens könnten sich daraus in Zukunft vielversprechende Ansätze für die Behandlung eben solcher Krankheiten ergeben. Allerdings: Zunächst muss sich zeigen, ob die Entfernung seneszenter Zellen auch ohne vorherige Genveränderung und beim Menschen funktioniert. “Außerdem wäre es wichtig zu untersuchen, inwiefern sich die Entfernung der Zellen auch dann noch positiv auswirkt, wenn die Erkrankung schon weiter fortgeschritten ist und sich im Alltag deutlich äußert – dies wäre bei Menschen das wahrscheinlichere Szenario”, schreiben Penney und Tsai. “Bestätigt sich das, könnten sich Therapien, die auf diesem Prinzip beruhen, für Betroffene als nützlich erweisen”, so ihr Fazit.
Quelle: Tyler Bussian (Mayo Clinic, Rochester) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-018-0543-y