Anzeige
1 Monat GRATIS testen. Danach zum Jubiläumspreis weiterlesen.
Startseite »

Zellatlas zeigt Schnittstelle zwischen Mutter und Kind

Gesundheit|Medizin

Zellatlas zeigt Schnittstelle zwischen Mutter und Kind
Fötus und Plazenta
Die Plazenta versorgt den Fötus mit Blut und Nährstoffen und bildet die Schnittstelle zwischen Mutter und Kind. © Henrik5000/ iStock

Während der Schwangerschaft wächst im Körper der Frau ein eigener, genetisch abweichender Organismus heran. Ermöglicht wird das durch ein ausgeklügeltes Zusammenspiel zwischen den Zellen des heranwachsenden Kindes, der Plazenta und dem mütterlichen Immunsystem. Erstmals haben Forschende diese Prozesse nun detailliert räumlich und zeitlich kartiert. Die Ergebnisse zeigen, wie der kindliche Teil der Plazenta die mütterlichen Arterien an der Gebärmutter verändert, um die Versorgung des Fötus zu gewährleisten, und wie sich das mütterliche Immunsystem anpasst, um den fremden Organismus nicht abzustoßen.

Kurz nach der Befruchtung beginnt eine menschliche Eizelle, sich zu teilen und in unterschiedliche Zelltypen zu differenzieren. Aus einem Teil der Zellen entwickelt sich der eigentliche Embryo, ein anderer Teil der Zellen, der sogenannte Trophoblast, bildet den kindlichen Teil der Plazenta, der für die Versorgung des Embryos zuständig ist. Diese Zellen wachsen in die Gebärmutterschleimhaut ein und beginnen, mit dem Immunsystem der Mutter zu interagieren. Auf der mütterlichen Seite verändern sich die Arterien, um den Embryo optimal mit Blut und Nährstoffen zu versorgen. So entsteht eine dreischichtige Plazenta: Ein mütterlicher und ein kindlicher Teil und dazwischen ein Raum, der mit mütterlichem Blut gefüllt ist und den Austausch von Nährstoffen und Abfallstoffen erleichtert. Wie genau die mütterlichen und kindlichen Zellen zusammenarbeiten, war allerdings bislang unklar.

Interaktion kindlicher und mütterlicher Zellen

Ein Team um Shirley Greenbaum von der Stanford University in Kalifornien hat diese Interaktion nun erstmals räumlich und zeitlich detailliert kartiert. Dazu untersuchten die Forschenden Gewebeproben der Plazenta von 66 Frauen, die diese der Wissenschaft zur Verfügung gestellt hatten, nachdem sie ihre Schwangerschaft zwischen der sechsten und zwanzigsten Woche beenden ließen. In diesen Proben identifizierten Greenbaum und ihr Team 588 uterine Spiralarterien, die sich in verschiedenen Stadien des Umbauprozesses befanden. Zudem erfassten sie mit einer eigens entwickelten Bildgebungstechnik verschiedene Zellmarker, sodass sie unter anderem auf die Art, Anzahl und Aktivität der mütterlichen Immunzellen schließen konnten.

„Dies ist die erste Studie, die umfassend kartiert, wie sich die Spiralarterien verändern, von nicht umgestaltet bis hin zu vollständig umgestaltet“, sagt Greenbaums Kollege Michael Angelo. Schon früher war bekannt, dass einige der kindlichen Trophoblasten-Zellen in den Wänden der Arterien auf der mütterlichen Seite wachsen. Doch wie gelangen sie dorthin? Schwimmen sie gegen den Blutstrom im Inneren der Arterien hinauf? Oder wandern sie durch die Gebärmutterwand? „In früheren Stadien des Umbaus fanden wir die kindlichen Trophoblasten-Zellen vor allem an der Außenseite der Blutgefäße“, berichtet das Team. „Erst in späteren Stadien tauchten sie auch innerhalb der Blutgefäße auf.“ Das deutet darauf hin, dass die Trophoblastenzellen tatsächlich durch die Gebärmutterwand wandern und von außen in die im Umbau befindlichen mütterlichen Arterien eindringen.

Umbau der Blutgefäße

Zudem stellte das Team fest, dass sich die mütterlichen Arterien nicht alle gleichzeitig verändern, sondern sich in den ersten Wochen der Schwangerschaft in unterschiedlichen Stadien befinden. Das Stadium des Umbaus jeder einzelnen Arterie korrelierte mit der Anzahl der kindlichen Trophoblasten-Zellen in der Nähe. Während die Arterien in früheren Stadien muskulös sind, baut sich die glatte Muskulatur mit zunehmender Dauer der Schwangerschaft ab, sodass ein hoher, aber langsamer Blutfluss zum Kind gewährleistet wird.

Anzeige

Wenn sich die Arterien während des Umbaus in der Frühschwangerschaft nicht ausreichend ausdehnen können, steigt der Blutdruck der Mutter, um den zu geringen Blutfluss auszugleichen. Dieser Schwangerschaftsbluthochdruck, auch genannt Präeklampsie, kann die Organe der Mutter schädigen und den Fötus gefährden und ist daher eine gefürchtete Schwangerschaftskomplikation. Die neuen Erkenntnisse könnten helfen, besser zu verstehen, was bei Präeklampsie und weiteren Komplikationen während der Schwangerschaft falsch läuft. „Es wäre ideal, wenn wir im Voraus erkennen könnten, wer gefährdet ist, und frühzeitig Vorbeugungsmaßnahmen treffen könnten“, sagt Angelo.

Relevanz für Organtransplantationen und Krebs

Eine große Rolle spielt den Ergebnissen zufolge auch das mütterliche Immunsystem. Zu Beginn der Schwangerschaft, etwa in der sechsten bis achten Woche, überwiegen in der Plazenta demnach noch mütterliche Immunzellen, die fremde Zellen angreifen. Je weiter die Schwangerschaft fortschreitet, desto mehr reichern sich tolerantere Immunzellen an. „Allein der Blick auf die Zusammensetzung der Immunzellen ist eine zuverlässige Uhr“, erklärt Angelo. „Wenn wir eine Probe entnommen haben und nicht wussten, aus welchem Stadium der Schwangerschaft sie stammte, konnten wir das Schwangerschaftsalter anhand der vorhandenen Arten von Immunzellen bis auf 19 Tage genau bestimmen.“

Die Ergebnisse könnten nicht nur dazu beitragen, bestimmte Arten von Unfruchtbarkeit zu erklären und zu behandeln, sondern auch für Organtransplantationen hilfreich sein. Denn auch hier geht es darum, dass das Immunsystem fremdes Material akzeptiert. „Indem wir die Toleranz im Zusammenhang mit der Schwangerschaft betrachten, könnten wir bessere Wege finden, um die langfristige Organtoleranz bei Transplantationen anzugehen“, sagt Angelo. Auch für die Krebsforschung könnte die Studie hilfreich sein, denn viele Krebsarten tricksen das Immunsystem mit den gleichen Methoden aus, die es der Plazenta ermöglichen, im mütterlichen Körper zu wachsen.

Die Studie ist Teil des großen Forschungsprojekts Human BioMolecular Atlas Program (HuBMAP), bei dem verschiedene Gewebe und Organe des menschlichen Körpers auf Einzelzellebene kartiert werden, um die Anordnung und Interaktion der Zellen besser zu verstehen.

Quelle: Shirley Greenbaum (Stanford University, Kalifornien, USA) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-023-06298-9

Anzeige
Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Youtube Music
Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

Ap|pa|rat  〈m. 1〉 1 aus mehreren Teilen zusammengesetztes Gerät 2 Vorrichtung, Einrichtung … mehr

Be|weis|ma|te|ri|al  〈n.; –s, –li|en; Rechtsw.〉 Material, das in einem Rechtsstreit einen Beweis darstellt

bil|dungs|fä|hig  〈Adj.〉 so beschaffen, dass man es bilden kann, aufnahmebereit für Bildung

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige