Chronischer Stress tut uns bekanntlich nicht gut – das spiegelt sich auch in der Haarfülle wider: Psychische Belastungen können Haarausfall begünstigen. Welche Mechanismen hinter diesem Effekt stecken könnten, beleuchtet nun eine Studie an Mäusen. Das Stresshormon Corticosteron führt demnach zu einer geringeren Teilungsaktivität der Haarfollikel-Stammzellen bei den Nagern. Entsprechend lässt sich durch eine Blockade des verantwortlichen Signalwegs auch das Haarwachstum anregen, zeigen die Experimente. Diese Ergebnisse lassen sich möglicherweise auf den Menschen übertragen und so zeichnen sich zumindest Perspektiven für die Entwicklung von Behandlungsmöglichkeiten bei stressbedingtem Haarausfall ab.
Das Haar wird immer dünner und schlapper – für viele Menschen ist Haarausfall eine belastende Feststellung beim Blick in den Spiegel. Bei dem Thema ist zunächst einmal wichtig festzustellen, dass Haarverlust sehr unterschiedliche Ursachen haben kann. So können Veranlagung, Mangelerscheinungen oder auch Autoimmunreaktionen zugrunde liegen. Als ein Faktor, der Haare ausdünnen kann, ist allerdings auch chronischer Stress bekannt. Bisher ist allerdings unklar, auf welchen Mechanismen dieser Effekt beruht. Um grundlegende Einblicke zu gewinnen, haben die Forscher um Sekyu Choi von der Harvard University in Cambridge deshalb nun Versuche an Tieren durchgeführt, die oft als Modell des Menschen dienen: Mäuse.
Haarwurzeln im Visier
Wie sie erklären, basiert die Entwicklung der Haare bei den pelzigen Nagern weitgehend auf ähnlichen Prinzipien wie beim Menschen. Sie ist in drei Phasen unterteilt: Wachstum, Degeneration und Ruhe. Während des Wachstums bringt der Haarfollikel in der Haarwurzel kontinuierlich einen sich verlängernden Schaft hervor. Diese Bildung basiert auf der Aktivität von Haarfollikel-Stammzellen. Während der Degenerationsphase stoppt das Wachstum und der untere Teil des Haarfollikels schrumpft. Im Verlauf der anschließenden Ruhe fällt das Haar dann aus. Später beginnt der Zyklus von neuem. Somit lag der Verdacht nahe, dass der vermehrte Haarverlust bei Stress auf einem vorzeitigen Übergang des Follikels in die Ruhephase beruht. Konkret könnten dabei Stresshormone die Drahtzieher darstellen.
Um dieser Spur im Mausmodell nachzugehen, setzten Choi und seine Kollegen einige Nager im Verlauf von neun Wochen experimentellem Stress aus und untersuchten dabei den Effekt auf das Haarwachstum. So konnten sie zunächst bestätigen, dass diese Behandlung im Zusammenhang mit erhöhten Blutwerten des Stresshormons Corticosteron zu vermindertem Haarwuchs führte. Wie sie erklären, handelt es sich bei Corticosteron um das tierische Pendant zu dem menschlichen Stresshormon Cortisol, das in der Nebenniere gebildet wird. Um die Rolle der Nebennieren und des Corticosterons bei den Mäusen zu bestätigen, entfernten die Wissenschaftler das Gewebe bei einigen Versuchstieren. So zeigte sich: Die mit dem Ausfallen verbundenen Ruhephasen der Haarfollikel verkürzten sich bei diesen Mäusen. Wenn die Wissenschaftler den Tieren allerdings künstlich das Stresshormon Corticosteron verabreichten, verschwand dieser Effekt. Im Umkehrschluss bestätigte dies somit: Das Stresshormon beeinflusst die Entwicklung der Haarwurzel.
Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten zeichnen sich ab
Wie die Forscher erklären, lag nahe, dass der Effekt auf der Sensibilität bestimmter Zellen in der Haarwurzel für Glucocorticoid basiert. Bekannt ist, dass dieses Hormon seine Wirkung durch einen Glucocorticoid-Rezeptor entfaltet. Daher schalteten die Forscher diesen Signalempfänger gezielt bei den unterschiedlichen Zellen im Bereich der Haarwurzeln von Mäusen aus. So zeigte sich, dass nicht direkt die Haarfollikel-Stammzellen auf das Hormon reagieren, sondern unter ihnen liegende Zellen – die sogenannten dermalen Papillen. Durch anschließende molekulargenetische Untersuchungen konnten sie dann aufzeigen, welche Rolle diese Zellen bei der Signalübertragung spielen. Demnach hemmt das Stresshormon Glucocorticoid in den dermalen Papillen die Bildung eines Proteins namens GAS6. Dieser Stoff ist wiederum für die Stimulation der Haarfollikel-Stammzellen verantwortlich: GAS6 regt die für die Haarwachstumsphase nötige Zellteilung an.
Dies konnten die Forscher verdeutlichen, indem sie auf gentechnischem Wege die Produktion von GAS6 in den dermalen Papillen von Mäusen künstlich erhöhten. Dadurch wurde das Haarwachstum bei den Versuchstieren stimuliert, wenn sie chronischem Stress ausgesetzt wurden oder Corticosteron verabreicht bekamen. Diese Ergebnisse verdeutlichten somit: Die Corticosteron-Ausschüttung bei chronischem Stress führt zu einer Hemmung der GAS6-Produktion in den dermalen Papillen. Doch der damit verbundene Negativeffekt auf das Haarwachstum kann durch eine künstliche Bereitstellung von GAS6 beseitigt werden.
Mit Blick auf den Menschen erscheinen diese Ergebnisse vielversprechend, denn es zeichnen sich mögliche Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten für stressbedingten Haarausfall ab. Allerdings sind in diesem Zusammenhang noch einige offene Frage zu klären, geben die Forscher zu bedenken. Vor allem ist fraglich, inwieweit die Ergebnisse bei Mäusen auf den Menschen übertragbar sind. Denn trotz vieler Gemeinsamkeiten gibt es doch auch Unterschiede zwischen unserer Haarentwicklung und den Prozessen bei den pelzigen Nagern. Sie könnten die Effektivität von Ansätzen zur Umkehr der stressbedingten Hemmung der Haarfollikel-Stammzellen beeinflussen. Somit sind nun umfangreiche Anschlussuntersuchungen nötig. Dennoch sind die Ergebnisse ausgesprochen vielversprechend, betont der Dermatologe Rui Yi von der Northwestern University in Chicago in einem Kommentar zur Studie: “Vielleicht wird es eines Tages möglich sein, die negativen Auswirkungen von chronischem Stress auf unser Haar entgegenzutreten”, sagt Yi im Hinblick auf die Ergebnisse.
Quelle: Nature, doi: 10.1038/s41586-021-03417-2