Gentherapien versprechen Hoffnung für Patienten mit erblich bedingten Krankheiten wie etwa der Bluterkrankheit, bei der wichtige Gerinnungsfaktoren fehlen. Die Idee: Mit Hilfe von Viren soll intaktes Erbgut in die menschlichen Zellen eingeschleust werden, sodass diese fortan die benötigten Gerinnungsfaktoren produzieren. Erste Gentherapien sind bereits für Menschen zugelassen. Parallel laufen weitere Tierstudien, um Sicherheit und Wirksamkeit genauer zu bewerten. Forscher haben nun die Ergebnisse einer zehnjährigen Studie an Hunden vorgelegt. Trotz insgesamt positiver Ergebnisse warnen die Forscher auf Basis genetischer Analysen, dass die Gentherapie in seltenen Fällen das Krebsrisiko erhöhen könnte.
Als vor 30 Jahren, im November 1990, die erste menschliche Patientin eine Gentherapie erhielt, waren die Erwartungen hoch: Intaktes Erbgut, eingeschleust mit Hilfe von Adenoviren, sollte die damals vierjährige Ashanti deSilva dauerhaft von ihrer angeborenen Immunschwäche heilen. Trotz anfänglicher Erfolgsmeldungen verging die Euphorie schnell. Nach und nach verschwand das eingefügte Erbgut wieder aus den Zellen des Mädchens, die Wirkung ließ nach. Andere Kinder erkrankten in Folge von Gentherapien an Leukämie – ein Zeichen, dass die Reparatur-Gene an falsche Stellen im Erbgut eingefügt worden waren. Obwohl inzwischen mehrere Gentherapien für Menschen zugelassen sind, bestehen diese Herausforderungen nach wie vor: Das intakte Erbgut soll möglichst dauerhaft in den menschlichen Zellen bleiben, sich aber nicht an unerwünschten Stellen einfügen.
Blutungsneigung deutlich verringert
Inwieweit das bei der Gentherapie gegen die Bluterkrankheit funktioniert, haben Forscher um Giang Nguyen vom Children’s Hospital of Philadelphia zehn Jahre lang an Hunden erforscht. Die neun Tiere, die an der Studie teilnahmen, litten an Hämophilie A, einer Variante der Bluterkrankheit, bei der der Blutgerinnungsfaktor 8 fehlt. Mit Hilfe von Adeno-assoziierten Viren (AAV) schleusten die Forscher intakte Genvarianten für Faktor 8 in die Leber der Hunde ein.
Und tatsächlich: Bei allen neun Tieren sorgte die Gentherapie für ausreichend hohe Faktor-8-Spiegel. Obwohl sie nur zwischen 1,9 und 11,3 Prozent der für Hunde normalen Menge an Faktor-8 produzierten, verringerte sich ihre Blutungsneigung im Vergleich zu unbehandelten Hunden um 97 Prozent, auf weniger als eine spontane Blutung pro Jahr. Das entspricht dem Wert von Menschen mit Bluterkrankheit, die regelmäßig vorbeugend den fehlenden Gerinnungsfaktor gespritzt bekommen. „Unsere Daten zeigen, dass auch niedrige Faktor-8-Spiegel, die durch die Gentherapie erreicht werden, das Erscheinungsbild der Krankheit substanziell verbessern“, so die Forscher.
Langfristige Wirksamkeit
Adeno-assoziierte Viren sind dafür bekannt, dass sie ihr Erbgut nur in seltenen Fällen in die menschliche DNA integrieren. Stattdessen liegt die virale DNA mit den eingeschleusten Genen in der Regel getrennt vom menschlichen Erbgut im Zellkern vor. Das minimiert das Risiko, dass durch fehlerhafte Einfügungen Krebs entsteht, sorgt aber auch dafür, dass das eingefügte Erbgut mit der Zeit wieder aus den menschlichen Zellen verschwinden kann.
Bei den von den von den Forschern beobachteten Hunden blieb die anfängliche Faktor-8-Aktivität aber über die gesamte zehnjährige Studienzeit erhalten. „Das ist die längste Aufrechterhaltung eines therapeutischen Faktor-8-Spiegels, die bisher in Studien mit großen Tieren mit Hämophilie A beobachtet wurde, verbunden mit einer deutlichen Reduktion spontaner Blutungen“, schreiben die Nguyen und Kollegen. Ernsthafte Nebenwirkungen hatte keiner der Hunde. Regelmäßige Überprüfungen der Leberwerte zeigten nur leichte Abweichungen von der Norm.
Überraschender Anstieg
Statt abfallender Faktor-8-Spiegel beobachteten die Forscher bei zwei Hunden sogar einen langsamen Anstieg des Gerinnungsfaktors, beginnend vier Jahre nach der Gentherapie. Von anfänglich vier Prozent des Normalwertes steigerte sich der Spiegel bei diesen Tieren im Verlauf der Studie auf zehn und elf Prozent, verdreifachte sich also fast. Sicher erklären können die Forscher diesen Anstieg nicht. „Die wahrscheinlichste Ursache ist, dass sich die eingefügte DNA an Stellen im Erbgut der Hunde integriert haben, an denen sie die Zellteilung fördert“, so die Forscher. Dadurch könnten sich die neuen Gene vermehrt haben und so die höhere Faktor-8-Produktion verursacht haben.
„Soweit wir wissen, hat noch keine andere Studie an großen oder kleinen Tieren einen Anstieg der Faktor-8-Produktion nach der Gentherapie gezeigt“, schreiben die Forscher. Bei den Hunden in ihrer Studie war der Anstieg gesundheitlich unbedenklich, denn der Faktor-8-Spiegel lag weiterhin deutlich unter den Konzentrationen bei gesunden Tieren. „Zu hohe Faktor-8-Spiegel können allerdings zu Thrombosen führen und wären besorgniserregend“, betonen die Forscher. Sie empfehlen daher, bei menschlichen Patienten nach der Gentherapie auch langfristig zu kontrollieren, ob nicht unerwartet zu viel Faktor-8 produziert wird.
Krebsrisiko womöglich erhöht
Einen Anlass zur Warnung sehen die Forscher auch in anderer Hinsicht: Obwohl keiner der Hunde während der Studie Tumoren oder Krebsvorstufen entwickelt hat, fanden Nguyen und Kollegen Hinweise darauf, dass sich die virale und die eingeschleuste Reparatur-DNA an einigen Stellen in das Erbgut der Hunde integriert hat – und zwar überproportional häufig in Regionen, die mit der Krebsentstehung assoziiert sind. „44 Prozent der Einfügungen traten in der Nähe von Genen auf, die am Zellwachstum beteiligt sind“, berichten sie. Zwar sind insgesamt betrachtet solche Einfügungen ins Genom selten. In diesen seltenen Fällen jedoch können sie das Risiko für Leberkrebs erhöhen.
„Unsere Ergebnisse werfen Fragen auf für laufende Gentherapie-Studien gegen die Bluterkrankheit und für andere AAV-Gentherapie-Studien“, fassen die Forscher zusammen. „Obwohl klinische Studien mit dreijähriger Beobachtungszeit bei Hämophilie A und zehnjähriger Beobachtungszeit bei Hämophilie B nicht von schwerwiegenden Nebenwirkungen berichtet haben, demonstrieren unsere Daten, wie wichtig die Langzeitbeobachtung von Patienten nach einer AAV-Gentherapie ist.“
Quelle: Giang Nguyen (Children’s Hospital of Philadelphia) et al., Nature Biotechnology, doi: 10.1038/s41587-020-0741-7