Wenn wir hungrig sind und Essen sehen oder riechen, werden zunächst bestimmte Nervenzellen im Gehirn aktiviert. Sie signalisieren dem Körper: Nahrung in Sicht! Bereits wenige Minuten später verändern sich die Mitochondrien in den Zellen der Leber, wie jetzt ein Forschungsteam an Mäusen gezeigt hat. Dadurch bereitet sich die Leber auf die nötige Anpassung ihres Zuckerstoffwechsels vor, noch bevor wir etwas gegessen haben, berichtet das Team in „Science“. Die Ergebnisse könnten neue Wege für die Behandlung von Diabetes eröffnen.
Um die Nährstoffe und Energie aus Lebensmitteln möglichst rasch und effizient verarbeiten zu können, bereitet sich unser Körper bereits vor dem Verzehr darauf vor. „Wenn unsere Sinne Essen wahrnehmen, bereitet sich unser Körper mit einer Produktion an Speichel und Magensäure auf die Essenaufnahme vor“, erklärt Sinika Henschke vom Max-Planck-Institut für Stoffwechselforschung in Köln. Aus früheren Untersuchungen ist zudem bekannt, dass sich auch die Leber auf die Nahrungsaufnahme vorbereitet. Doch wie genau diese sich anpasst, war bislang unklar.
Anpassung des Zuckerstoffwechsels beginnt im Gehirn
Ein Team um Henschke hat sich jetzt die Mitochondrien in den Leberzellen genauer angesehen. Diese Organellen sind in allen Zellen für den Stoffwechsel und die Energieproduktion zuständig. Die Forschenden vermuteten daher, dass Veränderungen in Bezug auf anstehende Nahrung in Leberzellen am ehesten dort zu finden sind. Um diese Theorie zu testen, setzten Henschke und ihre Kollegen hungrigen Mäusen Futter vor. Die Tiere durften das Futter allerdings nicht fressen, sondern nur maximal 30 Minuten lang durch ein Gitter sehen und riechen. Anschließend untersuchten die Forschenden die Mitochondrien in den Leberzellen der Mäuse mit mikroskopischen und molekularbiologischen Methoden.
Dabei stellten sie fest, dass in den Organellen bereits innerhalb von fünf Minuten dieselben Prozesse im Zucker- und Fettstoffwechsel aktiviert wurden, die in einer Kontrollgruppe bei der Nahrungsaufnahme angeregt wurden. Es war demnach bereits ausreichend, dass die Mäuse Aussicht auf Futter hatten, um die Mitochondrien in den Leberzellen zu verändern, schließt das Team. Die Mitochondrien spalteten und fragmentierten sich, um ihre Stoffwechselprozesse umzubauen. In der Folge fanden sich vermehrt Glukose und Fettsäuren sowie die Hormone Insulin, Glucagon und Corticosteron im Blut der Tiere, die den Zucker- und Fettstoffwechsel regulieren, wie die Analysen zeigten. „Diese Adaption läuft überraschend schnell ab“, so Henschke.
Durch Folgetests belegten sie und ihre Kollegen zudem, dass dieser Effekt zuvor durch eine Gruppe von Nervenzellen im Gehirn ausgelöst wird, die sogenannten POMC-Neuronen im Hypothalamus. In den Tests aktivierten die Forschenden diese Neuronen durch Lichtreize. Die Neuronen können aber auch durch den Geruch oder Anblick von Nahrung innerhalb von Sekunden aktiviert werden, wie aus früheren Studien bekannt ist. In beiden Fällen signalisieren die Nervenzellen dann der Leber, sich auf die anstehenden Nährstoffe vorzubereiten, wie das Team feststellte.
Veränderte Mitochondrien beeinflussen Reaktion auf Insulin
Doch was genau veranlasst die Mitochondrien in der Leber, sich zu verändern? Eine wesentliche Rolle scheint dabei ein Protein in den Mitochondrien zu spielen, das infolge des Nervensignals phosphoryliert wird – ihm wird durch ein Enzym eine Phosphatgruppe angehängt. Dadurch verändert sich die Aktivität des Proteins, dem sogenannten mitochondrialen Spaltungsfaktor, und die Mitochondrien strukturieren sich um, wie das Team erklärt. Die Versuche offenbarten auch, dass die Leber durch diese Phosphorylierung insgesamt etwas schwächer auf Insulin reagiert und Zucker langsamer umwandelt und verdaut. Damit haben die Forschenden einen neuen Signalweg entdeckt, der die Insulinsensitivität im Körper reguliert.
„Unsere Studie zeigt, wie eng die sensorische Wahrnehmung von Essen, adaptive Prozesse in Mitochondrien und die Insulinsensitivität verknüpft sind“, sagt Seniorautor Jens Brüning vom Kölner Max-Planck-Institut für Stoffwechselforschung. „Das Verständnis dieser Mechanismen ist auch daher wichtig, da bei dem Diabetes mellitus Typ 2 die Insulinempfindlichkeit gestört ist.“ Die Erkenntnisse könnten damit künftig für die Behandlung der Volkskrankheit Diabetes relevant sein. Für entsprechende Therapien müssen Folgestudien jedoch zunächst die Zusammenhänge weiter erforschen.
Quelle: Sinika Henschke (Max-Planck-Institut für Stoffwechselforschung) et al., Science, doi: 10.1126/science.adk1005