Wenn Hautkrebs metastasiert, verlassen einzelne Krebszellen den Tumor und wandern durch den Körper. Um in die Blutbahn zu gelangen, müssen sie sich jedoch durch enge Lücken im Gewebe zwängen. Ein stabiler Zellkern ist dabei hinderlich. Eine Studie zeigt nun, dass in aggressiven Hautkrebszellen ein Protein namens LAP1 angereichert ist. Dieses ermöglicht den Zellen, ihren Kern zu verformen und sich auf diese Weise schmaler zu machen. Die Ergebnisse könnten dazu beitragen, neue Ansätze zu finden, um Metastasen zu verhindern.
Schwarzer Hautkrebs ist in frühen Stadien meist gut behandelbar, indem das auf der Haut sichtbare Melanom entfernt wird. Problematisch wird es allerdings, wenn der Krebs in andere Bereiche des Körpers streut und Metastasen bildet. Diese sind die Hauptursache für hautkrebsbedingte Todesfälle. Bevor jedoch Krebszellen den Primärtumor verlassen können, müssen sie physikalische Barrieren überwinden: Um aus dem dichten Tumorgewebe in die Blut- oder Lymphbahn zu gelangen, müssen sie sich durch enge Zwischenräume zwängen – so eng, dass ein normal geformter Zellkern zu groß wäre. Doch wie schaffen sie es, dennoch in andere Teile des Körpers zu gelangen?
Diese Frage hat nun ein Team um Yaiza Jung-Garcia vom Francis Crick Institute in London anhand von Patientenproben und Laborexperimenten untersucht. Zunächst stellten Jung-Garcia und ihre Kollegen die Metastasierung im Labor nach. Dazu erstellten sie eine künstliche Membran mit Poren, die kleiner waren als die übliche Größe eines Zellkerns. Dann versuchten sie, aggressive und weniger aggressive Melanomzellen durch diese Membran wandern zu lassen. Die aggressiven Krebszellen stammten aus Metastasen von Hautkrebspatienten, die weniger aggressiven aus dem Primärtumor.
Aufgeweichte Kernhülle
Das Ergebnis: Die aggressiven Tumorzellen konnten sich deutlich effektiver durch die winzigen Poren bewegen als die weniger aggressiven. Mit Hilfe bildgebender Verfahren machte das Forschungsteam sichtbar, welchen Trick die Krebszellen dabei nutzen: Während der Zellkern eigentlich eine stabile Form hat, um das enthaltene Erbgut optimal zu schützen, weichen die aggressiven Melanomzellen die Struktur offenbar zeitweilig auf. Dabei bilden sich kleine, bläschenartige Ausstülpungen am Rand des Zellkerns und er wird insgesamt schmaler. Nachdem die Zelle die Pore durchquert hat, wird die ursprüngliche Zellkernstruktur innerhalb von rund zehn Minuten repariert. Die Forscher fanden keine Hinweise darauf, dass die Passage eine erhöhte Zelltodrate zur Folge hatte.
Um herauszufinden, was den aggressiven Tumorzellen diese Fähigkeit verleiht, untersuchten Jung-Garcia und ihre Kollegen, welche Proteine in diesen Zellen vorkommen. „Wir entdeckten eine erhöhte Konzentration des sogenannten Lamin-assoziierten Polypeptids 1, kurz LAP1“, berichten die Forscher. Dieses Protein kommt an der Innenseite der Membran vor, die den Zellkern umgibt. „Unsere Untersuchungen zeigen, dass das LAP1-Protein die Bindungen in der Membran lockert, so dass sich die Kernhülle ausbeulen und Blasen bilden kann, die den Zellkern fluider machen“, erklärt Jung-Garcias Kollege Jeremy Carlton. „Infolgedessen konnten sich die Krebszellen durch Lücken quetschen, die sie normalerweise aufhalten würden.“ Blockierte das Forschungsteam die Produktion von LAP1 in den aggressiven Zellen, waren diese in deutlich geringerem Maße in der Lage, Ausbuchtungen der Kernhülle zu bilden und durch enge Poren zu diffundieren.
Biomarker und Therapieansatz?
Der Gehalt an LAP1 in Tumorzellen könnte aus Sicht der Forscher womöglich einen Marker darstellen, der Aufschluss über die Prognose eines Melanom-Patienten gibt. Patienten, in deren Zellen sich ein erhöhter Gehalt an LAP1 nachweisen ließ, hatten den Ergebnissen zufolge ein höheres Risiko für eine aggressive Erkrankung und einen schlechten Verlauf. „Unsere Studie vermittelt ein neues mechanistisches Verständnis darüber, wie LAP1 zum Fortschreiten des Melanoms beiträgt“, sagt Co-Autorin Victoria Sanz-Moreno von der Queen Mary University in London. „Wir haben gezeigt, dass LAP1 in Labor- und Patientenmodellen ein wichtiger Regulator für die Aggressivität des Melanoms ist.“
Möglicherweise könnten die Erkenntnisse auch zukünftige Krebstherapien inspirieren. „Da LAP1 in metastatischen Zellen in so hohem Maße exprimiert wird, könnte ein Eingriff in diese molekulare Maschinerie große Auswirkungen auf die Krebsausbreitung haben“, so Sanz-Moreno. „Derzeit gibt es keine Medikamente, die direkt auf LAP1 abzielen. Daher möchten wir in Zukunft untersuchen, wie man auf LAP1 und die Blasenbildung der Kernhülle abzielen kann, um herauszufinden, ob es möglich ist, diesen Mechanismus der Melanomprogression zu blockieren.“ Weitere Forschungen sollen nun klären, inwieweit auch andere Zellen in der Umgebung des Tumors ähnliche Mechanismen nutzen, beispielsweise Immunzellen. Damit will das Team herausfinden, ob LAP1 nicht womöglich in anderen Zellen dazu beträgt, das Fortschreiten des Tumors zu verhindern.
Quelle: Yaiza Jung-Garcia (Francis Crick Institute, London) et al., Nature Cell Biology, doi: 10.1038/s41556-022-01042-3